Gericht: Verwaltungsgericht Köln
Entscheidungsdatum: 01.06.2007
Aktenzeichen: 4 K 238/07
Entscheidungsart: Urteil
eigenes Abstract: Ein unbebautes Grundstück der Stadt Leichlingen wird als Veranstaltungsfläche zur Ausrichtung von Festen genutzt. Als die beklagte Stadt einen Neubau der Stadtbücherei auf diesem Grundstück plant, strengen Einwohner ein Bürgerbegehren gegen dieses Vorhaben an. Obwohl ausreichend Unterschriften gesammelt wurden, wurde das Bürgerbegehren von der Stadt Leichlingen wegen Verfristung abgelehnt. Das Gericht hat diese Rechtsauffassung bestätigt.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Stadt Leichlingen ist Eigentümerin des Grundstückes Gemarkung Leichlingen, Flur …, Flurstück …, welches als „Q. “ bezeichnet wird. Das Grundstück ist unbebaut. Es wird bislang als Veranstaltungsfläche für Feste genutzt. Der 1982 in Kraft getretene Bebauungsplan Nr. 46 (C. ) der Stadt Leichlingen weist die Fläche als Kerngebiet – Fläche für Gemeinbedarf mit der Zweckbestimmung Bürgerzentrum u.a. – aus.
Die Stadt Leichlingen beabsichtigt einen Neubau der Stadtbücherei. Nach Prüfung von Standortalternativen beschloss der Beklagte in seiner Sitzung vom 27. Mai 2004 mehrheitlich die Festlegung der Q. im C. als neuen Standtort für die Stadtbücherei. Ein gegen diesen Beschluss im Jahr 2004 begonnenes Bürgerbegehren scheiterte aus formellen Gründen.
Im Jahr 2006 befassten sich die Fraktionen der Beklagten mit der Frage der Realisierung des Neubaus der Stadtbücherei. Die Initiierung eines Architekten- bzw. Investorenwettbewerbs wurde diskutiert. Vor dem Hintergrund der Beschränkungen durch die vorläufige Haushaltswirtschaft (sog. Nothaushalt), denen die Stadt Leichlingen seit 2005 – bis heute – unterliegt, beschloss der Rat in seiner Sitzung vom 23. März 2006 „die Abwicklung zum Bau des Kulturzentrums / Bücherei der Kreissparkasse Köln zu übertragen“.
Mit Schreiben vom 2. Mai 2006 kündigte der Kläger zu 1) ein Bürgerbegehren „zur Zukunft der Q. “ an.
Mit Verfügung vom 17. Juli 2006 verweigerte der Landrat des Rheinisch-Bergischen-Kreises als Aufsichtsbehörde dem Haushaltssicherungskonzept der Stadt Leichlingen für das Jahr 2006 die Genehmigung und führte unter Bezugnahme auf den Erlass des Innenministerium des Landes NRW vom 04. Juni 2003 – AZ: 3-33- 44.10-9354/03 (1) – (sog. Hinweispapier) über den Umgang mit Kommunen ohne genehmigtes Haushaltssicherungskonzept zur Übernahme „neuer freiwillige Leistungen“ aus: „Neue freiwillige Leistungen kommen nicht in Betracht. (…) Für alle Kommunen im Rheinisch-Bergischen Kreis, die sich im Nothaushalt befinden, besteht seitens der Kommunalaufsicht einheitlich die Forderung den Ansatz der freiwilligen Leistungen jährlich pauschal um 10 % zu kürzen. (…) Die Stadt Leichlingen kommt damit der pauschalen Forderung nicht nach. Bei Nichteinhaltung des Korridors ist zunächst von allen neuen freiwilligen Leistungen abzusehen.“ Ergänzend führte der Landrat unter dem 08. September 2006 aus: „Vor dem Hintergrund, dass der Korridor nicht eingehalten werden kann, dürfen daher entsprechend der Ausführungen des Innenministeriums veranschlagte neue Leistungen (…) nicht umgesetzt werden. (…) Abschließend bleibt nochmals darauf hinzuweisen, dass die Kommunalaufsicht lediglich die Höhe des Korridors festsetzt. Die Stadt Leichlingen entscheidet im Rahmen ihrer Finanzhoheit, wie sie den Korridor auf ihre freiwilligen Leistungen aufteilt.“
Mit Datum vom 03. August 2006 wurde das Bürgerbehren „Rettet die Q. “ bei der Stadt Leichlingen eingereicht und die Kläger als Vertreter benannt. Der zur Abstimmung gestellte Text lautete:
„Wollen Sie, dass die so genannte Q. (Gemarkung Leichlingen, Flur …, Flurstück …) wie bisher auch zukünftig ausschließlich als unbebaute Grün- und Veranstaltungsfläche genutzt wird?“
In der Begründung wurde ausgeführt, dass die so genannte Q. als parkähnlich gestaltete Grünfläche eine optimale Verbindung zwischen der dichten Randbebauung des C1. (N.-Platz ) und dem begrünten Wupperufer sei. Der Erhalt dieser Grünfläche als „Öffnung zur Wupper“ sei eine wichtige Grundlage für den Bestand der traditionellen Fest- und Freizeitveranstaltungen im C. und für die Entwicklung neuer Sport- und Freizeitangebote auf und an der Wupper. Die Ratsmehrheit beabsichtige, dort ein Kulturzentrum mit Wohnbebauung zu errichten. Zur Frage der Kostendeckung wurde ausgeführt, wenn die Q. unbebaut bliebe, entstünden durch diese Maßnahme keine Kosten. Von den vorgelegten Unterschriftenlisten wurden 2.203 Unterschriften als gültig anerkannt, womit das für die Stadt Leichlingen erforderliche Unterschriftenquorum von mindestens 1.829 Unterschriften erfüllt war.
In seiner Sitzung am 21. September 2006 stellte der Beklagte durch Beschluss fest, dass das Bürgerbegehren „Rettet die Q. “ wegen Verfristung unzulässig sei. Dies wurde den Klägern zu 1) und zu 2) mit Bescheiden vom 22. September 2006 mitgeteilt. Zur Begründung wurde auf die Ausführungen in den Verwaltungsvorlagen vom 01. September 2006 (32-220/00) und vom 20. September 2006 (32-220/01) verwiesen. Dort heißt es: Die Haushaltsverfügung des Landrats vom 17. Juli 2006 zeige nur einen „Finanzkorridor“ auf. Solange dieser eingehalten werde, seien auch (neue) freiwillige Leistungen zulässig. Da zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Zahlen oder Anhaltspunkte über die tatsächlichen Betriebskosten eines in vielen Variationen möglichen Neubaus vorlägen, könne eine zwingende Rechtsunwirksamkeit des Bebauungsbeschlusses nicht angenommen werden. Insbesondere habe der Rat die Möglichkeit im Haushalt 2007 neue Prioritäten hinsichtlich der Ausfüllung des Finanzkorridors zu setzen. Das Bürgerbegehren sei daher wegen Verfristung unzulässig.
Die Bezirksregierung Köln führte dazu mit Stellungnahme vom 2. Oktober 2006 aus, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die einem Ratsbeschluss die Grundlage entziehen könne, liege nur dann vor, wenn rechtlich oder tatsächlich keine Möglichkeit mehr bestehe, den Beschluss umzusetzen. Eine derartige Unmöglichkeit liege bei Veränderung allein der Haushaltslage der Kommune nicht vor. Das im Erlass des Innenministeriums des Landes NRW vom 04.06.2003 formulierte Verbot der Übernahme neuer freiwilliger Leistungen werde dahingehend ausgelegt, dass zusätzliche, also höhere Ausgaben im freiwilligen Bereich nicht geduldet würden, ohne dass hierfür – unbeschadet der geforderten Reduzierung des Gesamtvolumens – Kompensation an anderer Stelle geschaffen werde. Aber auch dann, wenn der Stadt derzeit die finanziellen Möglichkeiten zur Umsetzung des Beschlusses fehlen sollten, könne dies nach Entspannung der Haushaltslage oder im Rahmen sich später anbietender Kompensation nachgeholt werden. Der Beschluss sei nicht mit einem Verfallsdatum versehen.
Gegen die Bescheide des Beklagten vom 22. September 2006 – zugestellt am 26. September 2006 – erhoben die Kläger am 25. Oktober 2006 Widerspruch. Zur Widerspruchsbegründung führten sie aus, das Bürgerbegehren wende sich gegen den Ratsbeschluss vom 27. Mai 2004, mit dem der Standort Q. als Standort für die Stadtbücherei festgelegt worden sei. Richtig sei, dass die gemäß § 26 Abs. 3 GO NRW grundsätzlich geltende Frist abgelaufen sei. Im vorliegenden Fall stehe dieser Fristablauf jedoch der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens nicht im Wege. Es richte sich nämlich gegen einen Ratsbeschluss, dem durch wesentliche Änderungen der Verhältnisse, sowohl rechtlicher als auch tatsächlicher Art, die Grundlage entzogen worden sei. Im Jahr 2004 sei lediglich der Grundsatzbeschluss gefasst worden, ein Kulturzentrum /Bücherei auf der Q. zu bauen. Seit 2005 befinde sich die Stadt Leichlingen im Nothaushalt. Per Verfügung habe die Kommunalaufsicht ausdrücklich festgelegt: Neue freiwillige Leistungen kommen nicht in Betracht. Es sei davon auszugehen, dass mit dem Ratsbeschluss aus März 2006 jedenfalls schlüssig dargestellt werde, dass die Stadt die Kosten für den Betrieb dieses Bauwerks übernehmen wolle. Zu erwarten sei sicherlich eine Verdoppelung der bisherigen Betriebskosten und damit eine Erhöhung der zu erbringenden freiwilligen Leistungen. Eine Kostendeckung – durch Kürzung oder Streichung anderer Positionen – sei dazu nicht erfolgt. Der dadurch gegebene Verstoß gegen die Auflagen der Kommunalaufsicht entziehe dem Beschluss aus 2004 die Grundlage, so dass ein fristungebundenes initiierendes Bürgerbegehren möglich sei. Ein Ausschluss nach § 26 Abs. 5 GO NRW sei nicht gegeben, denn das Bürgerbegehren fordere nicht die Korrektur des bestehenden Bebauungsplanes.
Die Widersprüche der Kläger wurde durch Beschluss des Beklagten am 14. Dezember 2006 zurückgewiesen und die Entscheidung den Klägern mit Widerspruchsbescheiden vom 21. Dezember 2006 bekannt gegeben.
Die Kläger haben am 22. Januar 2007 Klage erhoben. Zur Klagebegründung wiederholen und vertiefen sie ihre Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend führen sie aus: Die Betrachtungsweise der Bezirksregierung zur „wesentlichen Änderung der Sachlage“ sei zu eng. Selbst wenn man einen Freiraum in Gestalt des vom Landrat vorgegebenen Korridors annehme, verstoße der Ratsbeschluss aus März 2006 gegen die Grundsätze des Nothaushaltsrechtes, denn der Rat habe sich nicht mit den finanziellen Auswirkungen des Beschlusses befasst, geschweige denn einen Kostendeckungsvorschlag mit beschlossen. Darüber hinaus sei eine Unabweisbarkeit des Baus der Bücherei nicht erkennbar, die jedoch Voraussetzung für eine Investition unter dem Nothaushaltsrecht sei. Ferner sei das Bürgerbegehren auch aufgrund des Zeitablaufs seit dem Beschluss aus 2004 zulässig. Da seither weitere Entscheidungen nicht getroffen worden seien, käme ein weit reichender Bestandsschutz für die Ratsbeschlüsse hier nicht in Betracht.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten unter Aufhebung seiner Ablehnungsbescheide vom 22. September 2006 und der Widerspruchsbescheide vom 21. Dezember 2006 zu verpflichten, das Bürgerbegehren „Rettet die Q. “ für zulässig zu erklären.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und die Stellungnahme der Bezirksregierung Köln. Ergänzend wird ausgeführt: Für die geplante Baumaßnahme werde voraussichtlich im Mai 2007 die Investorenauswahl getroffen. Anschließend solle der Investor einen Ideenwettbewerb ausloben und nach der Sommerpause werde eine umfassende Bürgerinformation und -beteiligung durchgeführt. Noch vor den Herbstferien sei mit der Vorlage für den endgültigen Baubeschluss zu rechnen. Der Baubeginn werde voraussichtlich im Herbst diesen Jahres erfolgen. Die Stadt Leichlingen habe mit dem Haushaltsabschluss 2006 den Finanzkorridor übererfüllt, so dass nunmehr ein erheblicher Handlungsspielraum für freiwillige Leistungen verbleibe. Der Bau der neuen Stadtbücherei solle durch einen Drittinvestor geleistet werden und gehöre somit nicht zu den Investitionsmaßnahmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten, die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens nach § 26 Abs. 6 Satz 1 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) festzustellen.
Das Bürgerbegehren „Rettet die Q. “ ist unzulässig, da bereits die Frist zur Einreichung gemäß § 26 Abs. 3 GO NRW nicht gewahrt wurde (1). Das Bürgerbegehren ist hier auch nicht als initiierendes – und damit fristungebundenes – Bürgerbegehren zulässig, denn § 26 Abs. 3 GO NRW ist weder durch Zeitablauf (2) noch durch die veränderte Haushaltslage der Stadt Leichlingen (3) unanwendbar geworden.
(1) Nach § 26 Abs. 3 GO NRW muss ein Bürgerbegehren, das sich gegen einen Beschluss des Rates richtet, innerhalb von sechs Wochen nach der Bekanntmachung des Beschlusses eingereicht sein. Gegen einen Beschluss, der nicht der Bekanntmachung bedarf, beträgt die Frist drei Monate nach Sitzungstag. Ein Bürgerbegehren richtet sich im Sinne des § 26 Abs. 3 GO NRW nicht nur dann gegen einen Ratsbeschluss, wenn es ausdrücklich seine Aufhebung zum Ziel hat. Es reicht vielmehr aus, wenn sich ein Bürgerbegehren inhaltlich auf den Ratsbeschluss bezieht und nach seiner Zielrichtung auf eine Korrektur des Beschlusses gerichtet ist.
OVG NRW, Beschluss vom 28.01.2003 – 15 A 203/02 -, NWVBl. 2003, S. 312.
Das Bürgerbegehren „Rettet die Q. “ richtet sich gegen den Beschluss des Beklagten vom 27. Mai 2004, der die Q. als Standort für den Neubau der Bücherei bestimmt. Zwar ist das Bürgerbegehren damit nicht ausdrücklich auf die Aufhebung dieses Beschlusses gerichtet, dem Ziel des Bürgerbegehrens – die Beibehaltung der Nutzung der Q. als unbebaute Grün- und Veranstaltungsfläche zu erwirken – steht dieser Bebauungsbeschluss aus dem Jahr 2004 jedoch entgegen. Als kassatorisches Bürgerbegehren ist das Bürgerbegehren „Rettet die Q. “ damit an die Fristenregelung des § 26 Abs. 3 GO NRW gebunden. Die für den – nicht bekanntmachungsbedürftigen – Bebauungsbeschluss maßgebliche Frist von drei Monaten, wurde nicht gewahrt. Denn die Kläger reichten das Bürgerbegehren erst am 03. August 2006 und damit mehr als zwei Jahre nach der Beschlussfassung vom 27. Mai 2004 ein.
Auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des Beklagten vom 23. März 2007, mit dem die Abwicklung des Bauvorhabens der Kreissparkasse Köln übertragen wurde, ist das Bürgerbegehren verfristet. Denn selbst wenn man annehmen würde, dass sich das Bürgerbegehren „Rettet die Q. “ auch gegen diesen Beschluss des Beklagten richtet, so würde durch ihn jedenfalls keine neue Frist nach § 26 Abs. 3 GO NRW ausgelöst, da durch die Übertragungsentscheidung der gemeindliche Wille zur Bebauung der Q. lediglich konkludent bestätigt – und nicht neu gefasst – wurde. Die Bestätigung oder Wiederholung eines vorhergehenden Beschlusses vermag die Fristen des § 26 Abs. 3 GO NRW jedoch nicht erneut auszulösen.
OVG NRW, Beschluss vom 28.01.2003 – 15 A 203/02 -, a.a.O.
Darüber hinaus wäre auch hinsichtlich des Beschlusses vom 23. März 2006 die Drei-Monats-Frist abgelaufen.
(2) Das Bürgerbegehren ist auch nicht durch Zeitablauf zu einem fristungebundenen initiierenden Bürgerbegehren geworden.
Würde ein Bürgerbehren aufgrund des seit Beschlussfassung eingetretenen Zeitablaufs nicht mehr an den einmal gefassten Ratsbeschluss, sondern – als initiierendes Bürgerbegehren – an die vorgefundene Situation anknüpfen, so wäre § 26 Abs. 3 GO NRW unanwendbar geworden. Dies ergibt sich vorliegend jedoch weder aus der Regelung des § 26 Abs. 8 Satz 2 GO NRW noch aus einem erheblichen Zeitablauf.
Die Regelung des § 26 Abs. 8 Satz 2 GO NRW, die bestimmt, dass ein Bürgerentscheid nach Ablauf von zwei Jahren durch Ratsbeschluss abgeändert werden kann, ist allein auf die Kassation eines Bürgerentscheids beschränkt und nicht auf die Kassation eines Ratsbeschlusses durch ein Bürgerbegehren entsprechend anwendbar. Für eine analoge Anwendung fehlt es an einer Regelungslücke, denn die Fristgebundenheit für kassatorische Bürgerbegehren ist abschließend in § 26 Abs. 3 GO NRW geregelt. Danach endet der Schutz von Ratsbeschlüssen nicht durch bloßen Zeitablauf, sondern ist nach Fristablauf grundsätzlich endgültig, denn der den Ratsbeschlüssen gegenüber Bürgerbegehren zukommende erhöhte Bestandsschutz dient dazu, Vertrauen und damit Planungssicherheit in die einmal gefällten Entscheidungen zu schaffen.
So OVG NRW, Beschluss vom 28.01.2003 – 15 A 203/02 -, m.w.N.
Ob darüber hinaus jedenfalls ein erheblicher Zeitablauf § 26 Abs. 3 GO NRW verdrängen kann – wie von der Kammer im Rahmen einer früheren Entscheidung erwogen,
vgl. dazu das Urteil vom 31.05.1999 – 4 K 7677/96 -, NWVBl. 2000, S. 155 –
bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, da ein erheblicher Zeitablauf hier sowohl im Zeitpunkt der Einreichung des Bürgerbegehrens als auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offenkundig nicht vorliegt. Das Bürgerbegehren „Rettet die Q. “ wurde nur wenig mehr als zwei Jahre nach dem betreffenden Ratsbeschluss eingereicht und bis zur gerichtlichen Entscheidung sind insgesamt nur drei Jahre vergangen.
(3) Das Bürgerbegehren ist auch nicht durch den Eintritt der Stadt Leichlingen in den Nothaushalt zu einem fristungebundenen initiierenden Bürgerbegehren geworden.
Zwar kann eine Angelegenheit, die bereits Gegenstand eines Ratsbeschlusses war, dann möglicher Gegenstand eines – fristungebundenen – Bürgerbegehrens sein, wenn die Wirkung des betreffenden Ratsbeschlusses erloschen bzw. eine nach dem Ratsbeschluss eingetretene tatsächliche oder rechtliche Änderung der Verhältnisse so wesentlich ist, dass sie einem getroffenen Ratsbeschluss die Grundlage entzieht,
vgl. dazu das Urteil des OVG NRW vom 28.01.2003 – 15 A 203/02 -, das zur „wesentlichen Änderung“ auf den Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bei einem öffentlich-rechtlichen Vertrag verweist.
Eine solche wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ist durch den Eintritt der Stadt Leichlingen in den Nothaushalt und die damit einhergehenden haushaltsrechtlichen Beschränkungen, aber nicht eingetreten, denn der Grundsatzbeschluss des Beklagten vom 27. Mai 2004 ist durch diese Veränderungen der Haushaltslage nicht obsolet geworden.
Der Nothaushalt war auf den Grundsatzbeschluss, einen Neubau der Bücherei auf der Q. zu errichten, vielmehr ohne Einfluss. Der Beklagte hat diesen Beschluss weder aufgegeben, noch ist seine Realisierung infolge der veränderten Haushaltslage auf unabsehbare Zeit unmöglich geworden. Auch ließe ein etwaiger Verstoß gegen haushaltsrechtliche Beschränkungen den gemeindlichen Willen nicht entfallen.
Die Ratsmehrheit der Stadt Leichlingen hat in Ansehung des Nothaushalts unverändert an ihrer Grundsatzentscheidung festgehalten. Dies zeigt der Beschluss vom 23. März 2006. Mit diesem hat der Beklagte auf die mit dem Nothaushalt verbundenen haushaltsrechtlichen Beschränkungen reagiert, indem er – zur Vermeidung etwaiger unzulässiger Belastungen des Haushalts – die Abwicklung des Bauvorhabens auf die Kreissparkasse Köln übertragen hat (vgl. dazu die Verwaltungsvorlage vom 20. Februar 2006 (61-825/00), Bl. 1 ff. der Beiakte 3). Damit hat er zugleich seine grundlegende Bebauungsentscheidung bekräftigt.
Die Realisierung dieser Entscheidung ist durch das Nothaushaltsrecht auch nicht unmöglich geworden. Es besteht schon keine Verpflichtung, eine solch grundlegende Entscheidung – an der erkennbar festgehalten wird – zeitnah zur Beschlussfassung umzusetzen. Auch kann jederzeit eine positive Veränderung der gemeindlichen Haushaltslage – so beispielsweise durch einen Zuwachs bei den Steuereinnahmen etc. – eintreten, was die Erfahrungen verschiedener Kommunen aus der jüngeren Vergangenheit belegen. Ungeachtet dessen wäre eine Umsetzung der Bebauungsentscheidung auch unter den Beschränkungen der vorläufigen Haushaltswirtschaft grundsätzlich denkbar. Die Stadt Leichlingen hat hierzu die Herbeiführung einer sogenannten Drittinvestition, d.h. die Errichtung des Neubaus durch einen externen Investor, erwogen. Sollten sich auf diese Weise jedenfalls Betriebskosten zu Lasten des gemeindlichen Haushalts nicht vermeiden lassen, würde dies die Realisierung des Projekts nicht unmöglich machen. Denn die Übernahme neuer freiwilliger Ausgaben – in Form konsumtiver Leistungen wie beispielsweise Betriebskosten – ist zulässig, wenn der der Gemeinde im Rahmen der vorläufigen Haushaltswirtschaft vorgegebene Finanzkorridor eingehalten wird. Die Aufsichtsbehörde hat unter Bezugnahme auf den Erlasses des Innenministeriums vom 04. Juni 2003 – AZ: 3-33-44.10-9354/03 (1) – wiederholt deutlich gemacht, dass unter dieser Voraussetzung allein die Gemeinde im Rahmen ihrer Finanzhoheit entscheidet, wie sie den Korridor auf ihre freiwilligen Leistungen aufteilt. Vor dem Hintergrund der bestehenden Erlasslage und unter Berücksichtigung auch der im vorliegenden Verfahren abgegebenen Stellungnahme der Bezirksregierung Köln ergibt sich, dass dieses Verständnis von der Zulässigkeit neuer freiwilliger Leistungen unter der vorläufigen Haushaltswirtschaft der einhellig praktizierten Rechtsauffassung der Aufsichtsbehörden in NRW entspricht. Danach wäre eine Beschlussfassung über neue freiwillige Leistungen grundsätzlich möglich.
Eine wesentliche Änderung ist auch nicht durch den Beschluss vom 23. März 2006 eingetreten. Denn auf den gemeindlichen Willen ist es ohne Einfluss, ob dieser Beschluss eine mit dem Nothaushaltsrecht vereinbare Kostenregelung enthält.
Dieser Beschluss vom 23. März 2006 über die Übertragung der Abwicklung des Baus der Stadtbücherei kann schon nicht wegen Verstoßes gegen haushaltsrechtliche Vorgaben der Kommunalaufsicht rechtswidrig sein, denn er enthält nach Auffassung der Kammer noch keine Kostenregelung. Mit der Übertragung der Abwicklung ist weder ausdrücklich noch konkludent eine Regelung über eine Kostentragung durch die Stadt Leichlingen getroffen worden. Aus der dem Beschluss zugrundeliegenden Vorlage vom 20. Februar 2006 (61-825/00) ergibt sich vielmehr, dass im Zeitpunkt der Beschlussfassung sämtliche kostenrelevanten Modalitäten noch vollständig offen waren, denn die Einzelheiten betreffend die Umsetzung der Bebauungsentscheidung sollten danach erst nach der Beschlussfassung über die Übertragung vorbereitet werden.
Im Ergebnis kann dies jedoch hier auch dahin stehen. Zum einen war jedenfalls eine Betriebskostenregelung – nach obigen Ausführungen – auch während des Nothaushaltes grundsätzlich möglich und hier auch konkret im Haushaltsjahr 2006 nicht ausgeschlossen. Denn nach den unwidersprochenen Angaben des Bürgermeisters der Stadt Leichlingen mit Schriftsatz vom 29. Mai 2007 hat die Stadt den Finanzkorridor mit dem Haushaltsabschluss 2006 übererfüllt. Diese war auch nicht wegen des Fehlens einer Kompensationsregelung rechtswidrig, denn mit dem Anfall von – der Höhe nach derzeit völlig unbestimmten – Kosten war jedenfalls im Haushaltsjahr 2006 nicht mehr zu rechnen. Zum anderen aber würde auch eine rechtswidrige Kostenregelung die grundlegende Bebauungsentscheidung des Beklagten nicht obsolet machen, da sie den gemeindlichen Willen, eine neue Stadtbücherei auf der Q. zu errichten, als solchen nicht beseitigt hätte.
Die Frage, ob dem Bürgerbegehren auch der Ausschlusstatbestand des § 26 Abs. 5 Nr. 6 GO NRW entgegensteht, wonach ein Bürgerbegehren über die Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von Bauleitplänen unzulässig ist, kann danach hier dahinstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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