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Gericht: Verwaltungsgericht Göttingen

Entscheidungsdatum: 26.09.2000

Aktenzeichen: 4 A 4168/98

Entscheidungsart: Urteil

eigenes Abstract: Der Kläger hat seinen Bibliotheksausweis und andere Dokumente bei seiner Freundin vergessen, diese schickt sie ihm per Post zu. Die Dokumente kommen nie bei ihm an. Als er wenig später dies der Bibliothek meldet, mit der Bitte, seinen Bibliotheksausweis zu sperren, sind schon Bücher darauf ausgeliehen. Diese werden nie zurückgegeben und die Bibliothek verlangt von dem Kläger die Kosten der Bücher sowie Einarbeitungsgebühren (im Gesamtwert von 2.286 DM). Der Kläger klagt dagegen, diesen Betrag zahlen zu müssen. Das Gericht legt in diesem Urteil fest, das er den Betrag zahlen muss, da er einerseits seiner Sorgsamspflicht nicht nachgekommen ist, da der Bibliotheksausweis in einem einfachen Brief verschickt wurde und andererseits er es der Bibliothek nicht unverzüglich gemeldet hat, wodurch die Ausleihe der Bücher erst ermöglicht wurde.

Tenor:

In der Verwaltungsrechtssache (…) hat das Verwaltungsgericht Göttingen (…) für Recht erkannt:

Der Bescheid der Beklagten vom 19.6.1998 und deren Widerspruchsbescheid werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu Ersatzbeschaffungskosten für entliehene Bücher.

Der Kläger studierte Physik an der beklagten Universität. Auf seinen Antrag vom 17.10.1995 ließ ihn diese zur Benutzung der Nds. Staats- und Universitätsbibliothek zu und händigte ihm einen entsprechenden Benutzerausweis aus.

Am 19.9.1997 wurden mit dem Ausweis des Klägers sieben überwiegend juristische Bücher im Wert von insgesamt 2.006 DM aus der Lehrbuchsammlung der Nds. Staats- und Universitätsbibliothek entliehen. Am 1.10.1997 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass ihm der Ausweis entwendet worden und die Ausleihe nicht durch ihn erfolgt sei. Nachdem die Bücher auch nach mehrmaliger Verlängerung der Leihfrist nicht zurück gegeben worden waren und eine am 10.12.1997 durch den Kläger erstattete Strafanzeige nicht zur Ermittlung eines Täters geführt hatte, forderte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 19.6.1998 auf, Ersatzexemplare der entliehenen Bücher zu beschaffen und eine Bearbeitungsgebühr von 30 DM pro Buch zu entrichten.

Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.7.1998 unter Hinweis auf die in ihrer Benutzungsordnung geregelte verschuldensunabhängige Haftung für durch missbräuchliche Verwendung des Ausweises entstandene Schäden zurück. Die von dem Kläger zu ersetzenden Kosten für die Wiederbeschaffung der Bücher setzte sie auf 2.286 DM fest (Gesamtwert der Bücher i.H.v. 2.006 DM sowie Bearbeitungs- und Beschaffungskosten i.H.v. 280 DM).

Am 2.9.1998 hat der Kläger Klage erhoben und zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er trägt vor:
(…)
An der missbräuchlichen Verwendung seines Ausweises treffe ihn kein Verschulden. Er habe diesen Anfang September 1997 im Elternhaus seiner Freundin, Frau S. B., in Hannover vergessen. Auf seine Bitte hin habe diese den Ausweis zusammen mit mehreren anderen Schriftstücken am 16.9.1997 mit einfachem Brief abgesandt. Als der Brief am 1.10.1997 immer noch nicht bei ihm angekommen sei, habe er den Ausweis sperren lassen und Strafanzeige erstattet. Die Regelung der Benutzungsordnung über die verschuldensunabhängige Haftung bei missbräuchlicher Verwendung des Ausweises verstoße gegen Treu und Glauben und sei rechtswidrig. Darüber hinaus treffe die Beklagte ein Organisationsverschulden. Bei dem vor einiger Zeit in der Lehrbuchsammlung eingeführten Ausleih- und Verbuchungssystem würden Ausweis und zu entleihende Bücher über einen Scanner geführt und die entsprechenden Daten automatisch verbucht, ohne dass an der Ausleihtheke die Berechtigung des Ausleihenden kontrolliert werde.

Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 14.6.1998 und deren Widerspruchsbescheid vom 23.7.1998 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält die Übersendung durch die Post mittels einfachen Briefes für eine – erstmals im Klageverfahren aufgestellte – Schutzbehauptung. Unabhängig davon habe der Kläger den Verlust nicht, wie es die Benutzungsordnung verlange, unverzüglich gemeldet und entspreche die Versendung mittels einfachen Briefes nicht den Sorgfaltsanforderungen. Die verschuldensunabhängige Haftung sei insbesondere deshalb gerechtfertigt, weil die Leihe allein dem Entleiher einen Vorteil biete und die missbräuchliche Verwendung des Ausweises der Sphäre des Entleihers zuzurechnen sei. Organisationsverschulden liege nicht vor. Die Bibliotheksaufsicht sei angewiesen, bei bestehenden Zweifeln an der Berechtigung des Entleihers eine Identitätskontrolle durchzuführen. Die Forderung nach umfassenderen Kontrollen sei angesichts von jährlich 200.000 Ausleihvorgängen allein in der Lehrbuchsammlung nicht gerechtfertigt.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. (…)

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 19.6.1998 und deren Widerspruchsbescheid vom 23.7.1998 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Allerdings ergibt sich die Rechtswidrigkeit nicht bereits aus der Tatsache, dass die Beklagte den Schadensersatzanspruch durch Verwaltungsakt geltend gemacht hat. Die Benutzungsordnung bietet hierfür im Ergebnis eine hinreichende Grundlage.

Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips ist der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts. Danach bedürfen Eingriffe in Freiheit und Eigentum eines Bürgers einer gesetzlichen Ermächtigung. Der von dem Kläger angegriffene Leistungsbescheid stellt nicht nur aufgrund seines materiellen Regelungsgehalts – der Schadensersatzforderung – eine rechtliche Regelung dar, sondern auch aufgrund seiner Form. Denn mit der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs durch Verwaltungsakt verschafft sich die Verwaltung selbst einen Vollstreckungstitel, der von dem Bürger nur unter Einhaltung von Widerspruchs- und Klagefristen beseitigt werden kann. Diese Titel- und Vollstreckungsfunktion des Verwaltungsaktes führt dazu, dass auch die Befugnis zum Erlass eines Leistungsbescheides (an Stelle der Erhebung einer Leistungsklage) dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegt (vgl. OVG Lüneburg, Urteile vom 15.3.1988 – 10 A 14/87 – NVwZ 1989, 880 und vom 19.6.1996 – 13 L 6935/95 – NJW 1996, 2947 sowie VGH Mannheim, Beschluss vom 29.12.1989 – 10 S 2252/89 – NVwZ 1990, 388; BVerwGE 72, 265). Dabei kann sich die Befugnis der Behörde zur Entscheidung durch Verwallungsakt auch ohne ausdrückliche Hervorhebung aus dem Gesamtzusammenhang der materiell-rechtlichen Regelung ergeben (Sachs in: Stelkens, Bonk/Sachs, Kommentar zum VwVfG, 5. Auflage, § 44 Rn 59 m. w. N.).

§ 7 Abs. 5 der Benutzungsordnung für die Nds. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen vom 18.12.1996, auf den die Beklagte ihren Schadensersatzanspruch stützt, regelt lediglich den materiellen Anspruch. Danach haftet für Schäden, die der Bibliothek durch missbräuchliche Verwendung des Benutzerausweises entstehen, die Benutzerin/der Benutzer, auch wenn sie/ihn kein Verschulden trifft. Anhaltspunkte für eine Befugnis, den Schadensersatzanspruch durch Leistungsbescheid geltend zu machen, ergeben sich hieraus nicht. Die Bestimmung ist jedoch im Zusammenhang mit § 7 Abs. 3 Benutzungsordnung zu lesen. Danach hat Schadensersatz zu leisten, wer ein Werk verliert oder beschädigt oder wer sonstige Arbeitsmittel oder Gegenstände der Bibliothek beschädigt, auch wenn ihn kein Verschulden trifft. Weiter heißt es dort: „Die Bibliothek bestimmt die Art des Schadensersatzes nach billigem Ermessen. Sie kann von der Benutzerin oder dem Benutzer insbesondere die Wiederherstellung des früheren Zustandes verlangen, auf deren oder dessen Kosten ein Ersatzexemplar, ein anderes gleichwertiges Werk oder eine Reproduktion beschaffen oder einen angemessenen Wertersatz in Geld festsetzen; außerdem kann sie sich den durch diese Maßnahmen nicht ausgeglichenen Wertverlust ersetzen lassen.“. Die Beklagte konkretisiert hier nicht nur das nach § 249 Satz 2 BGB (analog) ohnehin bestehende Auswahlermessen zwischen Natural- und Geldersatz, sondern gibt der Bibliothek darüber hinaus die Möglichkeit, eine einseitige, für den Benutzer verbindliche Regelung zu treffen. Dies ergibt sich zwar nicht bereits daraus, dass die Bibliothek u a. die Wiederherstellung des früheren Zustands „verlangen“ kann. Dieser Begriff findet sich auch in § 249 Satz 2 BGB, ist im Zivilrecht üblich und steht einem Gleichordnungsverhältnis nicht entgegen. Der Begriff „festsetzen“ weicht jedoch von der im Zivilrecht gebräuchlichen Terminologie ab und beschreibt i. d. R. eine einseitig-hoheitliche Regelungsbefugnis. Zusammen mit der umfangreichen Aufzählung der verschiedenen Ersatzmöglichkeiten und den damit verbundenen Ermessens- und Beurteilungsspielräumen, deren Konkretisierung im Einzelfall üblicherweise durch Verwaltungsakt erfolgt, wird deutlich, dass der Bibliotheksverwaltung die Befugnis gegeben werden soll, den Schadensersatzanspruch nach § 7 Abs. 3 Benutzungsordnung durch Leistungsbescheid geltend zu machen. 

Eine § 7 Abs. 3 Benutzungsordnung vergleichbare Aufzählung enthält § 7 Abs. 5 Benutzungsordnung zwar nicht. § 7 Abs. 5 Benutzungsordnung ist mit dem in § 7 Abs. 3 Satz 1 Benutzungsordnung geregelten Sachverhalt aber insoweit vergleichbar, als auch hier ein Schaden an Arbeitsmitteln oder Gegenständen der Bibliothek – wenn auch nur mittelbar – durch den Benutzer oder die Benutzerin verursacht worden ist. Sofern § 7 Abs. 5 Benutzungsordnung nicht bereits als Unterfall des § 7 Abs. 3 Benutzungsordnung anzusehen ist, erscheint es deshalb sachgerecht, die Sätze 2 und 3 des Absatzes 3 zumindest analog auf Schadensfälle i. S. d. Absatzes 5 anzuwenden. Auch den Schadensersatzanspruch nach § 7 Abs. 5 Benutzungsordnung kann die Bibliothek deshalb durch Leistungsbescheid geltend machen.

In der Sache kann die Beklagte ihren Anspruch jedoch nicht auf die verschuldensunabhängige Haftung des § 7 Abs. 5 Benutzungsverordnung stützen. Denn die Regelung stellt eine unverhältnismäßige Benachteiligung des Anstaltsnutzers dar und ist deshalb unwirksam.

Das Benutzungsverhältnis ist ein verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis, auf das grundsätzlich die Regelungen des bürgerlichen Rechts Anwendung finden (Rüfner in: Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Auflage, § 50 Rn. 11). Zu diesen gehört das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBG), dessen entsprechende Anwendung hier deshalb gerechtfertigt ist, weil das Benutzungsverhältnis einseitig durch den Anstaltsträger geregelt wird und sich der Anstaltsnutzer in einer dem Verbraucher vergleichbaren Situation befindet (Rüfner, a. a. O., Rn. 15; Wolff/Bachof/Stober, a. a. O., § 99 Rn. 39 m. w. N.). Nach § 9 Abs. 1 AGBG sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Das ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG).

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier vor. Der Grundsatz der verschuldensabhängigen Haftung ist ein wesentlicher Grundgedanke des bürgerlichen Rechts (§ 276 BGB). Nichts anderes gilt für öffentlich-rechtliche Haftungsfälle (BVerwGE 13, 17). Zwar kann die Verschuldenshaftung innerhalb der durch Treu und Glauben gesetzten Grenzen abbedungen werden. Die formularmäßige Begründung einer verschuldensunabhängigen Haftung verstößt jedoch nach gefestigter zivilrechtlicher Rechtsprechung grundsätzlich gegen § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG (BGHZ 114, 238; BGH, Urteil vom 18.3.1997 – IX ZR 117/96 – NJW 1997, 1700; s. a Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 59. Auflage, § 9 AGBG Rn. 91 m. w. N.). Ausnahmsweise erlaubt ist eine solche Risikoverlagerung nur dann, wenn die Regelung durch höherrangige Interessen des AGB-Verwenders gerechtfertigt ist oder die den Vertragspartner benachteiligende Abweichung von dispositivem Gesetzesrecht durch Gewährung anderer rechtlicher Verteile kompensiert wird (BGHZ 114, 238 m. w. N.).

Höherrangige Interessen der Beklagten erfordern eine Abweichung vom Verschuldensprinzip hier nicht. Zwar liegen die Risiken einer missbräuchlichen Verwendung des Ausweises überwiegend in der Sphäre des Nutzers, berücksichtigt wird dies jedoch bereits dadurch, dass sich der Nutzer hinsichtlich der seinem Einflussbereich entstammenden Risiken in Umkehrung der allgemeinen Beweislast analog § 282 BGB entlasten muss (vgl. Palandt, a. a.  O., § 282 BGB Rn. 6 ff). Eine darüber hinaus gehende verschuldensunabhängige Haftung ist ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht gerechtfertigt (BGHZ 114, 238).

Derartige Umstände sind hier nicht erkennbar. Sie sind insbesondere nicht in dem – an sich anerkennenswerten – Interesse der Beklagten zu sehen, ihren Bestand zu erhalten und den Ausgleich für Schäden, die der Risikosphäre eines Nutzers zuzurechnen sind, für die aber aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen niemand haftbar gemacht werden kann, nicht der Allgemeinheit aufzubürden. Die uneingeschränkte Risikoverlagerung kommt diesem Interesse zwar entgegen, verstößt aber gegen den auch im besonderen Gewaltverhältnis anzuwendenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dies folgt zum einen daraus, dass § 7 Abs. 5 Benutzungsordnung die Haftung in keiner Weise wertmäßig begrenzt. Angesichts der Bibliotheksbestände von teilweise erheblichem Wert ist der Nutzer, der als Student oder Wissenschaftler überdies regelmäßig auf die Nutzung der Bibliothek angewiesen ist, einem für ihn unkalkulierbaren Risiko ausgesetzt (vgl. auch Rüfner, a. a. O., Rn. 15). Zum anderen enthält die Haftungsregelung keinerlei Einschränkungen für den Fall, dass die Bibliothek den Schaden hätte abwenden können oder gar ihrerseits zum Eintritt eines Schadens beigetragen hat. So ist die Bibliothek nach § 18 Abs. 10 Benutzungsordnung berechtigt, wenn auch nicht verpflichtet, die Werke jeder Person auszuhändigen, die den entsprechenden Benutzerausweis vorlegt. Dem Bibliothekspersonal ist zwar auf Verlangen neben dem Benutzerausweis ein amtlicher Ausweis vorzulegen (§ 8 Abs. 3 Benutzungsordnung). Mit der eben genannten Vorschrift macht die Beklagte jedoch deutlich, dass sie eine Kontrollpflicht nicht anerkennt und ihre Haftung selbst dann ausschließt, wenn sich der Verdacht eines Missbrauchs aufdrängt. Nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 5 Benutzungsordnung haftet der Nutzer darüber hinaus selbst dann noch, wenn er den Verlust nach Abs. 4 der Vorschrift angezeigt hat.

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte die Möglichkeit einer missbräuchlichen Verwendung des Benutzerausweises dadurch begünstigt, dass die bei der automatischen Ausleihe nach § 19 Benutzungsordnung regelmäßig die maschinelle Kennung des Benutzerausweises genügen lässt. Es entfällt die bei der konventionellen Verbuchung zumindest grobe Prüfung, ob Nutzungsberechtigter und Ausweisbesitzer identisch sind. Auch das zumindest die Verfolgung von Missbrauchsfällen erleichternde und Nichtberechtigte möglicherweise auch abschreckende Erfordernis, den Leihschein auszufüllen und eigenhändig zu unterschreiben (§ 20 Abs. 1 und 2 Benutzungsordnung), ist bei der automatischen Ausleihe nicht gegeben. Die Eingabe eines individuellen Passwortes ist bei der maschinellen Ausleihe – anders als bei der elektronischen Bestellung von Büchern (§ 19 Abs. 3 Satz 2 Benutzungsordnung) – ebenfalls nicht vorgesehen. Der Umstand, dass die automatische Ausleihe für die Nutzer in der Regel einen zeitlichen Vorteil bedeutet und die Ausleihe vereinfacht, rechtfertigt das Unterlassen eingehenderer Kontrollen bei gleichzeitiger Risikoabwälzung nicht. Denn die automatische Ausleihe ist im Wesentlichen für die Beklagte vorteilhaft. Sie spart durch sie nicht nur Arbeitskräfte und -zeit, es werden auch Fehler bei der Übertragung und Verbuchung der meist handschriftlich ausgefüllten Leihscheine vermieden, die ihrerseits zu Schäden führen können.

Die in der Risikoabwälzung liegende Benachteiligung der Nutzer wird nicht durch die Gewährung anderweitiger Vorteile kompensiert. Zwar wird dem Nutzer der Bestand der Bibliothek grundsätzlich ohne Gegenleistung zur Verfügung gestellt. Das Gericht folgt jedoch nicht der u. a. von dem LG Aachen (Urteil vom 31.5.1951 – 7 S 97/51 – NJW 1952, 426 m. w. N.) und dem AG Rheinberg (Urteil vom 2.5.1991 – 11 C 772/90 – n. v.; s. a. Kirchner, Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für jur. Bibliotheks- und Dokumentationswesen, 1983, Heft 13, S. 1–5) vertretenen Ansicht, dass eine Risikoverlagerung nach Treu und Glauben dann gerechtfertigt ist, wenn die Leihe lediglich für den Entleiher vorteilhaft ist. Die allgemeinen Haftungsgrundsätze gelten auch innerhalb des Leihverhältnisses (Palandt, a. a. O., § 598 BGB Rn. 5). Der Unentgeltlichkeit der Leihe trägt das Gesetz bereits durch die Haftungserleichterung für den Verleiher Rechnung (§ 599 BGB). Die von der zitierten Rechtsprechung zur Begründung einer verschuldensunabhängigen Haftung angeführte Tatsache, dass sich im täglichen Leben der Entleiher eines Buches regelmäßig sittlich verpflichtet fühlt, den Verleiher bei unverschuldetem Verlust des Buches schadlos zu stellen, greift nicht. Zum einen dürfte es sich in diesen Fällen in der Regel um Gefälligkeitsverhältnisse und nicht um einen Leihvertrag handeln. Zum anderen wird diese sittliche Verpflichtung im Allgemeinen wohl im Rahmen persönlicher Beziehungen empfunden, nicht aber gegenüber einer juristischen Person. Schließlich handelt es sich – wie die zitierten Entscheidungen ausführen – um „sittliche“ und eben nicht um rechtliche Pflichten.

Darüber hinaus wird der Vorteil der kostenfreien Nutzung dadurch relativiert, dass Studenten und Wissenschaftler in der Regel auf die Nutzung einer wissenschaftlichen Universitätsbibliothek angewiesen sind. Der erfolgreiche Abschluss eines Studiums oder einer wissenschaftlichen Arbeit wird ohne den Zugang zu einer wissenschaftlichen Bibliothek zumindest erschwert. Dem entsprechend hat die Hochschulbibliothek die Aufgabe, die Hochschule mit Literatur, Literaturinformationen und anderen Informationsträgern sowie mit elektronischen Fachinformationen zu versorgen (§ 128 Abs. 1 Satz 4 NHG). Diesen gesetzlichen Auftrag erkennt die Beklagte in § 2 Abs. 1 Benutzungsordnung an und kommt damit auch einer eigenen Verpflichtung nach.

Die Beklagte kann den von ihr geltend gemachten Schadensersatzanspruch auch nicht auf die für das verwaltungsrechtliche Schuldverhältnis entsprechend geltenden Vorschriften der positiven Vertragsverletzung stützen. Denn der Kläger hat nachgewiesen, dass der Verlust der Bücher nicht auf seiner mangelnden Sorgfalt beruht. Nach seinem schlüssigen Vortrag vergaß er den Benutzerausweis zusammen mit anderen Papieren Anfang September 1997 bei seiner sich in Hannover bei ihren Eltern aufhaltenden Freundin, die ihm die Dokumente nachsandte. Nachdem der Brief bei ihm nicht angekommen sei, habe er sein Ausleihkonto bei der Beklagten überprüft, was allein durch Eingabe des Passwortes möglich gewesen sei, und den Verlust des Ausweises und dessen missbräuchliche Verwendung angezeigt. Von Seiten der Bibliotheksverwaltung sei ihm daraufhin empfohlen worden, die Leihfrist zu verlängern, da es sein könne, dass die Bücher innerhalb des zulässigen Ausleihzeitraumes zurück gegeben würden. Er habe deshalb auch mit der Erstattung einer Strafanzeige zunächst gewartet. Die Umstände des Verlustes habe er der Bibliotheksbediensteten, Frau W., bereits bei der Verlustanzeige geschildert. Letzteres konnte Frau W. in der mündlichen Verhandlung aus der Erinnerung heraus zwar nicht ausdrücklich bestätigen, hielt es aber für möglich, da sie in den Akten vermerkt habe, dass der Ausweis entwendet worden sei.

Die Umstände hinsichtlich des Postversands sind von der Zeugin S. B. bestätigt worden. Sie gab an, den Ausweis zusammen mit dem Familienpass der Bahn AG, Fotos und weiteren Papieren des Klägers am 16.9.1997 in einem wattierten DIN A 5 Umschlag als einfachen Brief abgesandt zu haben. Der Kläger und sie seien sich darüber einig gewesen, dass er insbesondere den Familienpass dringend benötige, da er diesen für eine Bahnfahrt habe nutzen wollen. Deshalb habe sie die Papiere dem Kläger nicht persönlich nach ihrer Rückkehr nach Göttingen – ihrer Erinnerung nach am darauf folgenden Wochenende – übergeben können. Anlässlich eines Telefongesprächs am Nachmittag des 19.9.1997 habe sie dann überrascht festgestellt, dass der Brief noch nicht angekommen sei.

Das Gericht hat keine durchgreifenden Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage. Zwar fiel auf, dass sich die Zeugin sehr genau an den Tag der Versendung des Briefes und des Telefongesprächs über den Verlust der Sendung erinnerte, während sie im übrigen – bspw. zu dem Zeitpunkt des Besuchs des Klägers in ihrem Elternhaus und ihrer Rückkehr nach Göttingen – nur ungefähre Angaben machen konnte. Jedoch liegt der Vorgang bereits mehr als drei Jahre zurück und ist die Erklärung der Zeugin zu ihrer genauen Erinnerung an den 16. und 19.9.1997, es sei in der Folgezeit noch oft über die Umstände des Postversands gesprochen worden, durchaus nachvollziehbar. Insgesamt war die Aussage frei von Widersprüchen und in sich schlüssig.

Ein Verschulden des Klägers an dem Verlust des Ausweises ergibt sich danach nicht. Solange sich der Ausweis im Elternhaus seiner Freundin befand, konnte er ihn ebenso sicher wähnen wie in seiner eigenen Wohnung. Die Versendung des Benutzerausweises mit einfachem Brief verstößt nicht gegen allgemeine Sorgfaltsanforderungen. Insoweit wird auf die Erläuterungen in dem den Beteiligten bekannten Beschluss des Nds. OVG vom 28.12.1999 in dieser Sache (Seite 3 und 4 des Entscheidungsabdrucks) verwiesen, denen sich die Kammer anschließt. Da neben dem Benutzerausweis auch noch Fotos und andere Papiere in einem wattierten Umschlag versandt wurden, war der Inhalt des Briefes äußerlich nur bedingt erkennbar. Auch der wattierte Umschlag an sich deutet nicht schon auf eine Wertsendung hin. Mit der Wattierung soll der Inhalt des Briefes lediglich vor Knicken und ähnlichen Beschädigungen, nicht aber vor Verlust besonders gesichert werden.

Der Kläger musste auch aufgrund seiner Empfangsvorrichtungen nicht mit einer gesteigerten Gefahr des Abhandenkommens rechnen. Er verfügte seinerzeit zwar nur über einen offenen, mit seinem Namen gekennzeichneten Briefkasten, die Briefkästen des Wohnhauses waren aber durch eine verschlossene Haustür für Dritte grundsätzlich nicht erreichbar und die Anzahl der Hausbewohner, die der Kläger zumindest vom Sehen kannte, war mit zehn Personen überschaubar. Der Kläger, der zum Zeitpunkt des Abhandenkommens des Briefes bereits ein Jahr in jenem Haus wohnte, hatte zuvor auch alle Briefe und andere Postsendungen erhalten. Vor diesem Hintergrund konnte der Kläger davon ausgehen, dass er auch den versandten Benutzerausweis erhalten werde.

Es kann dahin stehen, ob ein Sorgfaltsverstoß des Klägers darin zu sehen ist, dass er der Beklagten den Verlust des Ausweises erst am 01.10.1997 und damit etwa zwei Wochen nach seiner Aufgabe zur Post gemeldet hat, denn ein solcher Verstoß wäre für den eingetretenen Schaden jedenfalls nicht kausal gewesen. Der Kläger musste erst aufgrund des Telefongesprächs mit seiner Freundin am Nachmittag des 19.9.1997 von dem Verlust des Ausweises ausgehen und hätte durch eine anschließende Anzeige bei der Beklagten die unberechtigte Ausleihe der Bücher, die am Vormittag desselben Tages erfolgte, nicht mehr verhindern können.

Da die Beklagte unterliegt, hat sie gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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