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Gericht: Oberlandesgericht Hamm

Entscheidungsdatum: 26.02.2015

Aktenzeichen: III-5 RVs 7/15

Entscheidungsart: Beschluss

Eigenes Abstract: In dem Rechtsstreit zwischen einer Studentin und einer Universitätsbibliothek verhandelt das OLG Hamm im Revisionsverfahren. Das AG Essen hatte die Angeklagte zu einer Geldstrafe wegen Sachbeschädigung an einer Collage einer Ausstellung der Bibliothek verurteilt, wohingegen die Angeklagte Berufung einlegte. Nachdem diese vom LG Essen verworfen wurde, legte sie beim OLG Hamm Revision ein. Die Angeklagte fühlte sich bei den ausgestellten Collagen in der Bibliothek in ihren religiösen Gefühlen verletzt und bat um Entfernung der Plakate. Ein Bibliotheksmitarbeiter machte ihr das Angebot, die betroffene Stelle auf einer Collage mit einem Stück Papier zu Überkleben. Das Überkleben wartete die Angeklagte jedoch nicht ab und schnitt das von ihr als rassistisch empfundene Stück aus der Collage heraus. Das OLG entschied, dass das Grundrecht der Angeklagten auf Glaubens- und Gewissensfreiheit in diesem Fall nicht als Entschuldigungs- oder Rechtfertigungsgrund anzusehen sei. Die Beklagte hätte dieses Recht auch straffrei umsetzen können, indem das betroffene Stück – wie vom Bibliotheksmitarbeiter angeboten – überklebt worden wäre. Das OLG entschied, die Revision als unbegründet zu verwerfen.

 

Instanzenzug:
– AG Essen
– LG Essen vom 28.08.2014, Az: 28 Ns 99/14
– OLG Hamm vom 26.02.2015, Az: III-5 RVs 7/15

Weitere Informationen:
beck-blog vom 24.03.2015
Rechtslupe vom 25.03.2015

 

Tenor

Die Revision wird als unbegründet verworfen.

Die Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Essen hat die Angeklagte wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10,- EUR verurteilt. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte Berufung mit dem Ziel eines Freispruchs eingelegt.

Das Landgericht Essen hat die Berufung mit Urteil vom 28. August 2014 kostenpflichtig verworfen. Hinsichtlich der Person der Angeklagten und zur Sache hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen:

„1. Die Angeklagte wurde am 27.4.19xx in G in Marokko geboren. Sie machte Abitur und studierte in der Folgezeit Deutsch und Literatur. Wegen guter Studienleistungen erhielt sie ein Stipendium und verbrachte ein Auslandssemester in N. Nach Abschluss ihres Studiums kam sie im Jahr 1999 erneut nach Deutschland, wo sie zunächst Sprach-und Literaturwissenschaften in P studierte. Derzeit promoviert sie an der Universität F-E. Sie lebt von Geldzahlungen ihrer Familie und der gelegentlichen Erteilung von Nachhilfeunterricht. Die Angeklagte ist strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten.

2. Ab Ende Mai 2013 fand in der Bibliothek der Universität F eine Ausstellung statt. Gezeigt wurden mehrere von Studenten hergestellte Collagen.

Die Benutzungsordnung für die Bibliothek der Universität E-F vom 23.9.2005 lautet u.a. wie folgt:

„§ 2

Zulassung zur Benutzung

(1) Wer als Benutzerin oder Benutzer die UB oder das ZIM benutzen will, bedarf der Zulassung. Anmeldung und Antragstellung sind grundsätzlich persönlich vorzunehmen. Dabei ist ein gültiger Personalausweis oder Reisepass in Verbindung mit einer aktuellen Meldebescheinigung vorzulegen. Mit der Anmeldung bestätigt die Benutzerin/der Benutzer schriftlich die Anerkennung dieser Ordnung.

(2) Zugelassen sind die Mitglieder und Angehörigen der Universität E-F.

(3) Auf Antrag zugelassen werden können

1. Mitglieder und Angehörige anderer Hochschulen und sonstiger wissenschaftlicher Einrichtungen, soweit sie ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben;

2. andere natürliche und juristische Personen, vertreten durch eine natürliche Person. Diese Benutzung kann eingeschränkt werden, soweit Bedürfnisse der in Absatz (2) genannten Benutzerinnen und Benutzer entgegenstehen;

3. Minderjähriger ab dem 16. Lebensjahr mit schriftlicher Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters. Diese haften gegenüber der UB oder dem ZIM für Beschädigungen oder Verluste. Die Benutzung kann eingeschränkt werden, damit Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz ausgeschlossen werden können.

(4) Die Zulassung erfolgt zu wissenschaftlichen Zwecken in Forschung, Lehre und Studium, zur Aus-und Weiterbildung und für den Technologietransfer sowie zur Erfüllung sonstiger Aufgaben der Universität. Eine hiervon abweichende Nutzung kann zugelassen werden, wenn die Zweckbestimmung von UB und ZIM sowie die Belange der weiteren Benutzerinnen und Benutzer nicht beeinträchtigt werden.“

Die Angeklagte – welche die Bibliothek wegen ihrer Promotionstätigkeit häufig aufsuchte – fühlte sich durch ein Poster in ihren religiösen Gefühlen verletzt und hängte dieses ab; das Poster wurde danach nicht wieder aufgehängt.

In der Folgezeit entdeckte die Angeklagte eine weitere Collage, durch die sie sich erneut in ihren religiösen Gefühlen verletzt sah. Dieses Plakat bestand in erster Linie aus Bildern und Texten des Comicromans „Exit wounds“ der israelischen Autorin und Illustratorin S N. Auf der Collage befand sich unter der Überschrift „rutu modan exit wounds“ der Schriftzug „Terror as usual“. Neben verschiedenen Comicbildern und Begleittexten zeigte die Collage ein Bild mit einer Straßenszene, auf der im Hintergrund ein Gebäude und ein Kfz mit Fahrer zu sehen waren. Im Vordergrund waren insgesamt fünf Personen zu sehen. Während eine Person ein Blatt Papier in der Hand hielt, trugen die anderen Personen Schilder in Form einer Hand. Zwei der Schilder waren mit hebräischen Schriftzeichen versehen. Auf einem weiteren Schild war „Stop the occupation“ zu lesen. Ein viertes Schild mit arabischen Schriftzeichen wurde in einen Sack gesteckt. Die Angeklagte meinte nun, bei genauerer Betrachtung der Schrift dort nicht mehr – wie nur bei flüchtigem Lesen – die Worte „Beendet die Besatzung“ zu lesen, sondern durch die Veränderung eines Buchstabens und die Verbindung weiterer Schriftzeichen den Text „Nieder mit Allah“, sowie weitere – bei dieser Lesart dann keinen Sinn mehr ergebende – Buchstaben. Die Angeklagte beschwerte sich deshalb. Ihr Begehren, mit dem Direktor der Universität zu sprechen, wurde zurückgewiesen. Sie sprach sodann bei der Verwaltung vor, wo man ihr mitteilte, überlegen zu wollen, wie man weiter vorgehe.

Einige Tage später, am 24.6.2013, – das Plakat hing nach wie vor in der Ausstellung – nahm die Angeklagte die Collage ab, trug sie zu einem Bibliotheksmitarbeiter und verlangte, das Plakat aus der Ausstellung zu entfernen. Der Mitarbeiter wies dieses Begehren zurück. Er bot aber an, die beanstandete Stelle mit einem Stück Papier zu überkleben. Er legte eine Schere bereit. Sodann druckte er ein rotes Blatt zum Überdecken der Stelle aus. In diesem Moment griff die Angeklagte – der das angekündigte Überkleben als unzureichend erschien – nach der Schere und schnitt die Stelle aus der Collage.

Wenige Tage später wurde die Ausstellung vorzeitig beendet. Darüber freute sich die Angeklagte, die die ganze Ausstellung als rassistisch geprägt empfunden hatte.“

Hiergegen richtet sich die Revision der Angeklagten, die sie mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet.

Im Wege der Verfahrensrüge macht die Angeklagte einen Verstoß gegen den § 169 GVG geltend und trägt hierzu vor, die Hauptverhandlung habe ausweislich der Ladungsverfügung am 28. August 2014 um 14.00 Uhr im Sitzungssaal B 24 des Landgerichts Essen stattfinden sollen, habe aber tatsächlich im Sitzungssaal B 23 stattgefunden. Am Sitzungssaal B 24 habe sich kein Hinweis darauf befunden, wo und wann die Verhandlung in der vorliegenden Sache habe stattfinden sollen. Auf der vor Saal B 23 ausgehängten Sitzungsrolle habe man eine „handschriftliche Durchstreichung“ finden können.

Mit der Sachrüge führt die Angeklagte aus, das Landgericht habe die Verurteilung zu Unrecht auf § 304 Abs. 1 StGB gestützt. Nach der Benutzungsordnung der Bibliothek der Universität E-F handele es sich gerade nicht um einen öffentlichen Ort, da der Benutzerkreis von vornherein begrenzt sei. Hinzu komme, dass es sich bei dem Ausstellungsstück um ein „urheberrechtswidriges Machwerk“ gehandelt habe, das nicht durch öffentliche Interessen im Sinne von § 304 StGB geschützt sei. Außerdem sieht sich die Angeklagte in ihrem Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG verletzt. Sie meint, das Landgericht habe „im Lichte des Art 4 Abs. 1 GG einen Entschuldigungsgrund annehmen müssen“. Ihr Gewissen habe der Angeklagten geboten, die Handlung vorzunehmen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision ist offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Weder die Verfahrensrüge noch die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts verhelfen ihr zum Erfolg.

1. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verfahrensrüge unter Beachtung der strengen Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO überhaupt in zulässiger Weise erhoben worden ist. Denn die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung (§ 169 GVG) ist nicht verletzt worden.

Nach dem Inhalt der dienstlichen Stellungnahme der Kammervorsitzenden vom 18. November 2014 ist davon auszugehen, dass lediglich in der an die Verfahrensbeteiligten gerichteten Ladungsverfügung versehentlich der Sitzungssaal B 24 angegeben worden ist. Tatsächlich hat die Kammer am 28. August 2014 ausschließlich im Sitzungssaal B 23 verhandelt. Dem Erfordernis, dass jedermann die Möglichkeit hat, sich ohne besondere Schwierigkeiten über Ort und Zeit einer Gerichtsverhandlung Kenntnis zu verschaffen und dass der Zutritt im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten eröffnet ist (vgl. BGHSt 21, 72, 73; Diemer, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 169 GVG Rdnr. 7), wurde damit hinreichend Rechnung getragen, zumal nichts Konkretes dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich ist, dass sich vor dem Sitzungssaal B 23 ein irreführender Aushang befunden hätte. Hierfür reicht jedenfalls das unbestimmte Vorbringen der Angeklagten, auf der Sitzungsrolle vor dem Saal B 23 habe sich eine „handschriftliche Durchstreichung“ befunden, nicht aus.

Soweit für den Fall einer Verlegung der Hauptverhandlung in einen anderen Sitzungssaal ein Aushang auch am ursprünglichen Verhandlungsort als nötig erachtet wird (vgl. BGH, NStZ 1981, 311; OLG Koblenz, NZV 2011, 266), ist dieser Fall mit dem vorliegenden nicht zu vergleichen. Denn hier hat gerade keine Terminsverlegung stattgefunden, so dass ein Aushang vor dem Saal B 24 nicht erforderlich gewesen ist, um die Öffentlichkeit über Zeit und Ort der Verhandlung zu unterrichten.

2. Auch die Sachrüge bleibt erfolglos.

a) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung der Angeklagten wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung gem. § 304 Abs. 1 StGB.

aa) Die Bibliothek der Universität E-F ist eine öffentliche Sammlung im Sinne des § 304 StGB.

Öffentlich im Sinne des § 304 StGB ist eine Sammlung dann, wenn sie allgemein zugänglich ist, wenn also grundsätzlich jedermann zu ihr Zutritt hat (vgl. BGHSt 10, 285, 286; Wolff, in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 304 Rdnr. 10). Dass die Benutzung einer Universitätsbibliothek von einer Erlaubnis oder sonst von Bedingungen – hier einer vorherigen Zulassung nach Antrag – abhängig ist und der Benutzer sich einer Benutzungsordnung unterwerfen muss, nimmt der Bibliothek nicht die Eigenschaft einer öffentlichen Sammlung. Entscheidend ist, dass der Kreis der Benutzer nicht von vornherein auf bestimmte Personen, namentlich auf Behördenangehörige begrenzt ist (vgl. BGH, a.a.O.; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 304 Rdnr. 9; Stree/Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 304 Rdnr. 7). Im vorliegenden Fall ist ausweislich der Regelungen in § 2 Abs. 3 der Benutzungsordnung unbestimmt, welche und wie viele Personen zur Benutzung zugelassen werden. Da der Zutritt zu der Universitätsbibliothek bei Erfüllung der Zulassungsbedingungen auch regelmäßig gewährt wird, ist sie als allgemein zugänglich und damit als öffentlich anzusehen.

bb) Das ausgestellte Plakat gehörte auch zu den geschützten Gegenständen im Sinne des § 304 StGB.

Die Vorschrift des § 304 StGB ist kein Eigentumsdelikt (vgl. Wolff, a.a.O., § 304 Rdnr. 8), weshalb es für die Einordnung der Schutzgegenstände nicht auf das Eigentum oder ein persönliches bzw. dingliches Nutzungsrecht ankommt (vgl. Fischer, a.a.O., § 304 Rdnr. 3). Erforderlich ist vielmehr, dass der Sache durch Widmung des hierzu Berechtigten die in Abs. 1 vorausgesetzte Zweckbestimmung gegeben wird. Letzteres ist vorliegend dadurch geschehen, dass die von den Studenten hergestellten Collagen als Kunstgegenstände im Einvernehmen mit den zuständigen Gremien der Universität E-F in den Räumen der dortigen Bibliothek ausgestellt worden sind.

Es ist auch unerheblich, ob die Collagen – wie von der Angeklagten vorgetragen – unter Außerachtlassung von Urheberrechten erstellt worden sind. Denn die Vorschrift des § 304 StGB schützt öffentliche Interessen, namentlich das Nutzungsinteresse an öffentlichen Sammlungen (vgl. Wolff, a.a.O., § 304 Rdnr. 1) und damit einhergehend auch Aspekte des öffentlichen Friedens (vgl. Fischer, a.a.O., § 304 Rdnr. 2). Über diese Interessen hat sich die Angeklagte hinweggesetzt, indem sie einen in einer öffentlichen Sammlung ausgestellten Gegenstand beschädigt hat.

cc) Entgegen dem Revisionsvorbringen kann die Angeklagte aus dem Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) weder einen Rechtfertigungs- noch einen Entschuldigungsgrund für ihr Handeln ableiten.

In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob überhaupt aus Grundrechten unmittelbar eine Rechtfertigung abgeleitet bzw. namentlich aus der in Art. 4 Abs. 1 GG garantierten Glaubens- und Gewissenfreiheit ein Entschuldigungsgrund hergeleitet werden kann (vgl. hierzu Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., Vorbem §§ 32 ff. Rdnr. 119; Roxin, GA 2011, 1 ff.).

Denn der Betätigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit kann ein strafbarkeitsausschließender Vorrang jedenfalls nur dann zukommen, wenn für den Täter keine Möglichkeit bestanden hat, seine Glaubens- und Gewissensentscheidung straffrei umzusetzen. Hierüber hat sich die Angeklagte ohne Not hinweggesetzt. Der von der Angeklagten kontaktierte Mitarbeiter der Bibliothek hatte – ausweislich der getroffenen Feststellungen – bereits angeboten, die beanstandete Stelle des Plakats mit einem Stück Papier zu überkleben und schon mit den dazugehörigen Vorbereitungen begonnen. Die Angeklagte hatte damit zumindest das Ziel, den von ihr als anstößig empfundenen Teil der Collage unkenntlich zu machen, faktisch bereits erreicht. Dennoch hat sie selbst zur Schere gegriffen und das Plakat zerschnitten. Zu einer derart eigenmächtigen Vorgehensweise und Beeinträchtigung fremder Interessen – hier des öffentlichen Nutzungsinteresses im Sinne von § 304 StGB – berechtigt die Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht.

b) Der Rechtsfolgenausspruch hält gleichfalls einer rechtlichen Überprüfung stand.

Das Landgericht hat sich in rechtlich nicht zu beanstandender Weise mit den für und gegen die Angeklagte sprechenden Umstände auseinander gesetzt. Auch Zahl und Höhe der verhängten Tagessätze begegnen keinen Bedenken.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO

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