Gericht: Verwaltungsgericht München
Entscheidungsdatum: 09.04.2003
Aktenzeichen: M 3 E 03.1330
Entscheidungsart: Beschluss
Eigenes Abstract: Eine Nutzerin der Bibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität in München klagt gegen ein 3-jähriges Hausverbot, das gegen sie auf Grund lautstarker Beleidigungen und Drohungen von Mitarbeitern an der Ausleihe verhängt worden ist. Die Klägerin, die schon mehrmals in der Bibliothek auffällig geworden ist, benötige die Bibliothek, um ihre Dissertation zu schreiben, und bezeichnet die Drohungen als „linguistisches Mißverständnis“. Die Bibliothek sieht sich hingegen in der Pflicht, ihre Mitarbeiter durch ein Hausverbot zu schützen und ihren Ausleihbetrieb sicherzustellen. Das Gericht entschied zu Gunsten der Klägerin, da frühere Vorfälle nicht eingehend dokumentiert worden sind und die Nutzerin sich nach dem Vorfall entschuldigt hat.
Instanzenzug Eilverfahen:
– VG München vom 09.04.2003, Az. M3 E 03.1330
– BayVGH vom 23.06.2003, Az. 7 CE 03.1294
Hauptsacheverfahren:
– VG München vom 15.03.2004, Az. M 3 K 03.4560
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 4. Februar 2003 gegen den Bescheid der
Ludwig-Maximilians-Universität München vom 21. Januar 2003 wird wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2000,– Euro festgesetzt.
Gründe
I. Mit Bescheid der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) vom 21.Januar 2003, zugestellt am 4.2.2003, wurde der Antragstellerin ab sofort verboten, Räume der Universitätsbibliothek München samt Teilbibliotheken für die Dauer von drei Jahren, beginnend am Tag der Zustellung des Bescheides, zu betreten. Gleichzeitig wurde die sofortige Vollziehung dieses Bescheides angeordnet. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Antragstellerin hätte die Mitarbeiter der Universitätsbibliothek anlässlich einer Benutzerdatenüberprüfung am 9.1.2003 mehrfach lautstark mit entsprechender Gestik bedroht und unter anderem die Drohung ausgesprochen „Wenn ihr ein zweites Erfurt wollt, so könnt ihr es haben“. Sie habe zwar in der Folge versucht, diese Drohung zu relativieren, hätte jedoch bereits häufiger Bibliothekspersonal des Schalterdienstes dahingehend beschimpft, die Beschäftigten wären nur „Idioten“, die es auf die Antragstellerin „abgesehen haben“, würden „ständig lügen und betrügen“. Die entsprechenden Ausfälle der Antragstellerin hätten an Schärfe in letzter Zeit erheblich zugenommen.
Die Rückfrage bei dem von der Antragsteller angegebenen Betreuer ihrer Promotion habe ergeben, dass seinerseits nicht erkennbar sei, dass die Antragstellerin tatsächlich promoviere.
Mit Schreiben vom 4. Februar 2003 legte die Antragstellerin gegen diesen Bescheid Widerspruch ein.
Außerdem beantragte sie am 22.5.2000 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München sinngemäß, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 4.2.2003 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21.1.2003 wiederherzustellen.
Sie benötige die Benutzung der Universitätsbibliothek und Fernleihe, um ihre Dissertation fertigzustellen und ein Methodenseminar vorbereiten zu können. Die Staatsbibliothek biete keine Fernleihmöglichkeiten und sei bei den notwendigen Büchern zu ethnomethodologischer qualitativer Sozialforschung nicht gut bestückt.
Das Problem beruhe auf einem willkürlichen Ausschluss vom Zugang zum Bibliothekssystem Mitte Januar 2003 trotz Einschreibung als externe Doktorandin und bezahltem Wintersemester, und einem resultierenden linguistischen Missverständnis, das die Antragstellerin nicht habe korrigieren können, weil Hinweise zur Aufklärung des Missverständnisses nicht ernst genommen worden seien.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Ein Rechtsanspruch der Antragstellerin auf Benützung der Universitätsbibliothek bestehe nicht.
Die Antragstellerin sei keine Studentin. Soweit sie vortrage, eine Dissertation zu betreiben, sei festzustellen, dass sie seit mindestens zwei Jahren nicht mehr in Kontakt mit dem Betreuer ihrer Doktorarbeit getreten sei. Da auch kein anderer Professor der LMU für eine Betreuung zur Verfügung stehe, sei zu vermuten, dass die Antragstellerin seit geraumer Zeit keine Fortschritte bei der Promotion erzielt habe. Da die Antragstellerin selbst vortrage, ein Methodenseminar in der Schweiz ableisten zu wollen, und da sie außerdem beabsichtige, ihre Dissertation von einem schweizerischen Professor betreuen zu lassen, wäre es nahe liegender, beabsichtigte Forschungsarbeiten direkt in der Schweiz zu betreiben.
Die Universität könne es nicht hinnehmen, dass ihre Mitarbeiter in aller Öffentlichkeit auf so massive Weise eingeschüchtert würden. Ein willkürlicher Ausschluss liege ebenso wenig vor wie eine Absicht der Diskriminierung. Vielmehr spreche das Verhalten der Antragstellerin für sich.
Bei einem einmaligen Missverständnis hätte sich die Universität einer kulanten Konfliktbereinigung sicherlich nicht verschlossen. Allerdings sei die Antragstellerin schon häufig derart negativ aufgefallen.
Aufgrund der schon vorher mehrfach aufgetretenen Ausfälle der Antragstellerin, die am 9. Januar 2003 in der bezeichneten Drohung kulminierten, sei eine weitere Bibliotheksbenützung durch die Antragstellerin unzumutbar. Der Antragsgegner könne es wegen der Fürsorgepflicht für seine Arbeitnehmer nicht hinnehmen, dass diese ständigen Beschimpfungen ausgesetzt würden. Weiterhin werde der Ausleihbetrieb in der Universitätsbibliothek blockiert, solange die Antragstellerin ihre Auseinandersetzungen mit dem Personal führe, wodurch andere Studenten beeinträchtigt würden.
Ein milderes Mittel als das verhängte Hausverbot sei nicht ersichtlich. Der angefochtene Bescheid erweise sich damit als rechtmäßig.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II. Der zulässige Antrag ist auch begründet.
Für die vom Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende eigene Ermessensentscheidung kommt es auf eine Abwägung der von der LMU angeführten öffentlichen Interessen an der sofortigen Vollziehung mit den privaten Interessen der Antragstellerin an. In erster Linie fallen dabei die Erfolgsaussichten der Antragstellerin in einem eventuellen Hauptsacheverfahren, wie sie augenblicklich beurteilt werden können, ins Gewicht. Ist die Erfolgsaussicht mit genügender Eindeutigkeit zu verneinen, ist der Antrag grundsätzlich abzulehnen; ist sie offensichtlich zu bejahen, ist die aufschiebende Wirkung in der Regel wiederherzustellen. Im übrigen kommt es auch darauf an, wie schwer die angegriffene Maßnahme durch ihren Sofortvollzug in die Rechtssphäre des Betroffenen eingreift, ob und unter welchen Erschwernissen sie wieder rückgängig zu machen ist und wie dringlich demgegenüber das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung des angegriffenen Verwaltungsakts zu bewerten ist (vgl. BayVGH, Beschl. Vom 7.4.1995, Az: 7 CS 95.1163 m.w.N.).
Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich im vorliegenden Fall, dass dem Antrag stattzugeben ist, weil das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs das öffentliche Interesse und das Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung des Bescheids überwiegt.
Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung sind die Erfolgsaussichten des Widerspruchs vom 4. Februar 2003 als positiv zu betrachten.
Das hier zu beurteilende Hausverbot ist dem öffentlichen Recht zuzuordnen und in der Form eines Verwaltungsaktes ergangen.
Da sich die Antragstellerin als Benutzerin der Bibliothek in dieser aufgehalten hat, diese als staatliche Bibliothek öffentlich ist und wissenschaftlichen Zwecken sowie der beruflichen Arbeit und Fortbildung dient (§ 2 Abs. 1 Satz 1 der Allgemeinen Benützungsordnung der Bayerischen Staatlichen Bibliotheken (ABOB) vom 18.8.1993 (GVBl S. 635)), liegt ein öffentlich-rechtliches Benützungsverhältnis einer öffentlichen Einrichtung vor.
Als Rechtsgrundlage für das ausgesprochene Betretungsverbot kann nur § 26 Abs. 1 ABOB in Betracht kommen. Der von der LMU zitierte § 1 Abs. 1 ihrer Hausordnung ist dafür nicht ausreichend. Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts kann Eingriffsmaßnahmen nur aufgrund einer Ermächtigungsgrundlage erlassen, die rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Bei § 1 Abs. 1 der Hausordnung der LMU ist dies nicht dr Fall, da diese Bestimmung vollkommen unbestimmt ist und in keiner Weise die Voraussetzungen für den Ausspruch eines Betretungsverbotes festlegt.
Diese Bestimmung vermag deshalb eine derart eingreifende Maßnahme wie ein Betretungsverbot nicht zu rechtfertigen. Im übrigen gehen die Bestimmungen der ABOB als für die Bibliotheken geltenden Spezialvorschriften hier der allgemein geltenden Hausordnung vor.
Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 ABOB kann, wer gegen die Benutzungsordnung oder gegen Anordnungen der Bibliothek wiederholt oder schwerwiegend verstößt, befristet oder unbefristet, teilweise oder vollständig von der Benützung ausgeschlossen werden. Entsprechendes gilt, wenn die Benützung aus anderen Gründen unzumutbar geworden ist (§ 26 Abs. 1 Satz 2 ABOB).
Im vorliegenden Fall kommt lediglich Satz 2 in Betracht.
Hinsichtlich des der getroffenen Maßnahme zugrunde liegenden Vorfalles ist die Kammer der Ansicht, dass dieser allein nicht zur Unzumutbarkeit der Benützung der Bibliothek durch die Antragstellerin führt. Dabei ist die Antragstellerin dem Gericht durchaus als Person bekannt, die in Situationen, die nicht ihren Vorstellungen entsprechen, in ihrer Wortwahl zu Ausdrücken neigt, die der Situation nicht angemessen sind. Dass die Antragstellerin ihrer teilweisen drastischen Ausdrucksweise auch entsprechende Taten folgen ließ, ist dem Gericht allerdings nicht bekannt. Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin nach den eigenen Angaben des betroffenen Bibliotheksbediensteten auf dessen Einwand gegen ihren durchaus als Drohung auffassbaren Ausspruch sofort eingelenkt und darauf hingewiesen, das sei doch nur als Denkanstoß gedacht gewesen. Aufgrund dieser sofortigen Einsicht der Antragstellerin und ihres sofortigen Einlenkens ist dieser Vorfall nicht geeignet, die Benützung der Bibliothek durch die Antragstellerin als unzumutbar erscheinen zu lassen. Auch die ansonsten von der LMU angeführten Vorfälle sind aufgrund der Pauschalität ihrer Darstellung und ihrer unzureichenden Sachverhaltsaufklärung dazu nicht in der Lage. Sofern diese Vorfälle schwerwiegender gewesen sein sollten als die pauschale Darstellungsweise annehmen lässt, hätte der zugrunde liegende Sachverhalt aufgeklärt und entsprechend dokumentiert werden müssen.
Bei allem Verständnis für die Fürsorgepflicht der LMU gegenüber ihren Mitarbeitern müssen diese auch in der Lage sein, wie jeder Bedienstete in der öffentlichen Verwaltung gelegentlich auch mit nicht ganz einfachen Persönlichkeiten umgehen zu können.
Auch wenn die Antragstellerin keine Studentin der LMU ist und an den Fortschritten ihrer Dissertation Zweifel angebracht werden können, ist ihr Vortrag, dass sie wissenschaftlich arbeitet, von der Universität unbestritten und kann wohl auch nicht bezweifelt werden. Aus diesem Grund kann der Antragstellerin nicht jeglicher Anspruch zur Benützung der Universitätsbibliothek abgesprochen werden. Zum einen stehen bei den Bibliotheken der Hochschulen als Einrichtungen im Sinne des Bayerischen Hochschulgesetzes die Aufgaben für Forschung , Lehre und Studium im Vordergrund, zum anderen dienen die Bayerischen Staatlichen Bibliotheken als öffentliche Bibliotheken wissenschaftlichen Zwecken sowie der beruflichen Arbeit und Fortbildung. Aus diesem Grunde kommt auf Seiten der Antragstellerin auch deren Recht auf freie Berufsausübung zum tragen, das durch das Betretungsverbot für die Universitätsbibliothek erheblich eingeschränkt wird.
Selbst wenn der von der LMU als Begründung der Maßnahme angeführte Vorfall das gegenüber der Antragstellerin verhängte Betretungsverbot rechtfertigen könnte, bestünden im übrigen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit erhebliche Bedenken gegen dessen Dauer von drei Jahren. Die lediglich verbalen Auseinandersetzungen der Antragstellerin mit dem Bibliothekspersonal könnten, wenn sie nicht von ihr selbst sofort wieder relativiert worden wären, allenfalls ein Betretungsverbot von drei bis sechs Monaten rechtfertigen. Diese Dauer wäre als ausreichend anzusehen, um gegenüber der Antragstellerin die zunächst notwendige Warnfunktion zu erfüllen. Die untere Grenze dieser Frist ist seit der Verhängung des Betretungsverbotes im übrigen bereits nahezu erreicht.
Aus den dargestellten Gründen war dem Antrag daher stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung folgt unter Berücksichtigung des vorläufigen Charakters der Entscheidung aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
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