Gericht: Bundesgerichtshof
Entscheidungsdatum: 07.05.1987
Aktenzeichen: I ZR 250/85
Entscheidungsart: Urteil
Eigenes Abstract: Streitig ist die Kündbarkeit eines Archivvertrages über den Nachlass des Autors Ödön von Horvath mit der Beklagten, der Akademie der Künste in Berlin. Die Klägerin, Schwägerin des verstorbenen Schriftstellers, argumentiert, dass der Archivvertrag ein Leihvertrag sei, der nach über 20 Jahren seinen Zweck erfüllt habe. Die Beklagte hingegen behauptet, der Vertrag sei auf Dauer ausgelegt und somit unkündbar. Der Klage wird in der Revisionsinstanz stattgeben, da über die Dauer und Beendigung des Archivvertrages keine genauen Regelungen getroffen worden sind. Die Beklagte habe ausreichend Zeit gehabt, den Zweck der Überlassung des Nachlasses herbeizuführen.
Instanzenzug:
– LG Berlin vom 25.10.1983, Az. 16 O 365/8
– KG Berlin vom 16.07.1985, Az. 5 U 6165/83
– BGH vom 07.05.1987, Az. I ZR 250/85
Weitere Informationen:
♦ Der Spiegel vom 08.05.1989
♦ Weblog Archivalia vom 31.10.2006
Tatbestand
Im Jahre 1938 verstarb der aus dem früheren Österreich-Ungarn stammende Schriftsteller Ödön von Horvath. Er wurde von seinem Bruder Lajos von Horvath beerbt. Dieser verstarb 1968. Die in Meran (Italien) lebende Klägerin ist die Witwe und Alleinerbin Lajos von Horvaths.
Die Beklagte ist die in Berlin ansässige Akademie der Künste, eine Körperschaft öffentlichen Rechts.
Im Jahre 1962 hatte Lajos von Horvath der Beklagten den in seinem Besitz und Eigentum befindlichen literarischen Nachlaß seines Bruders zum Zwecke der Gründung eines Ödön-von-Horvath-Archivs überlassen. Dem war folgender Schriftwechsel zwischen Lajos von Horvath und dem Archivleiter der Beklagten, Dr. H., vorangegangen.
In einem Schreiben Dr. H.’s an Lajos von Horvath vom 30. Juli 1962 heißt es u.a.:
„… soeben hatte ich ein längeres Telefonat mit Herrn Traugott K., der mir die gute Nachricht überbrachte, daß Sie dem Archiv der Akademie der Künste den Nachlaß von Ödön von Horvath zur Gründung eines gleichnamigen Archivs übergeben wollen.
… Das Ödön von Horvath-Archiv würde hier in Berlin, d.h. in der Akademie eine sinnvolle und nicht schlechte Nachbarschaft finden. Mir ist es gelungen, bisher folgende Archive aufzubauen: Georg-Kaiser-Archiv, Ferdinand-Bruckner-Archiv, Alfred-Kerr-Archiv, Wolfgang-Goetz-Archiv. … Durch die obengenannten Archive sind in den letzten vier Jahren 32 Dissertationen des In- und Auslandes betreut worden. … Bei der Konzentration, Sichtung und Ordnung der jeweiligen Nachlässe ließ ich mich und lasse ich mich von dem Satz Hegels leiten: „Die Wahrheit ist das Ganze“. D.h., mir geht es darum, alle vorhandenen Dokumente, Gegenstände und Drucke zu sammeln, die das Bild des Dichters in seiner Wahrheit auszubauen und zu bestätigen vermögen …“
Lajos von Horvath antwortete in einem Schreiben vom 21. August 1962:
„… ich danke Ihnen für Ihren Brief vom 30. Juli 1962 und freue mich sehr, daß die Akademie der Künste in Berlin den Nachlaß meines Bruders Ödön von Horvath zur Gründung eines Archivs übernehmen will. Ich werde also alles, was ich von meinem Bruder habe, mit Ausnahme der Theaterstücke, die Sie vom Thomas Sessler-Verlag … und vom Georg Marton-Verlag … bekommen werden, bereit halten.
… Ich bin wirklich froh, daß der Nachlaß meines Bruders in so guten Händen und in Berlin sein wird, wo er so gern lebte und seine größten Erfolge hatte …“
In einem weiteren Schreiben an Dr. H. vom 23. September 1962 führte Lajos von Horvath noch aus:
„… Sehr lieb wäre mir auch, wenn Sie mir ein Schreiben oder einen Vertrag zukommen ließen, in dem die Akademie erklärt, daß ich Eigentümer und die Akademie Besitzer des Nachlasses ist, und ich bei allen externen Unternehmungen verständigt werde. Nun zu Traugott K.. Da er sich seit Jahren mit dem Werk Ödöns beschäftigt, wäre es meiner Meinung nach sehr erfreulich, wenn K. auch weiterhin das Horvath-Archiv mitbetreuen könnte. Ich denke, daß der Akademie so manche Arbeit abgenommen wäre …“
Nachdem der Beklagten inzwischen der literarische Nachlaß, darunter zahlreiche Originalmanuskripte, überlassen worden war, erwiderte Dr. H. mit Schreiben vom 7. Dezember 1962:
„… Darf ich Ihnen bestätigen, daß nunmehr der literarische Nachlaß Ödön von Horvaths, soweit er von Ihnen stammt, in den Besitz der Akademie der Künste zur Gründung eines Ödön von Horvath-Archivs übergegangen ist. Sie, verehrter Herr von Horvath, bleiben indessen Eigentümer des Materials. Ebenso verbleiben bei Ihnen die Rechte für alle Publikationen und Aufführungen. Mit dem Aufbau des Archivs ist indessen begonnen worden. Die Sichtung, Ordnung und Katalogisierung des Materials geht tüchtig voran. Nicht unwesentliches Material habe ich auch bereits von anderer Seite erhalten, so daß sich die Dinge immer mehr komplettieren.
Eine offizielle Eröffnung des Archivs ist im Zusammenhang mit dem 25. Todestag Ihres Herrn Bruders geplant. Bis zu diesem Termin hoffe ich, das Archiv so aufgebaut zu haben, daß es in gerechter und würdiger Form der Öffentlichkeit dargestellt und der Forschung erschlossen werden kann …“
In der Folgezeit baute die Beklagte das 1963 offiziell eröffnete Ödön-von-Horvath-Archiv auf und betreute es weiter. Sie trug zusätzliches Material zusammen und ermöglichte die wissenschaftliche Auswertung der Archiv stücke. Im Jahre 1966 gründete sie ein – mit Fotokopien der Originale ausgestattetes – Schwesterarchiv in Madison (Wisconsin, USA), 1968 ein weiteres in Stockholm. Die Beklagte hielt außerdem Kontakte zu Theatern, organisierte eine Wanderausstellung und förderte literarische Konferenzen, die sich auf das Werk Ödön von Horvaths bezogen. Sie setzte viele Jahre hindurch finanzielle Mittel für das Archiv ein. Als Mitarbeiter der Beklagten wurde vor allem der Archivleiter Dr. H. tätig, der auch bei einer ersten Gesamtausgabe der Werke Ödön von Horvaths mitwirkte.
Der 1962 noch wenig bekannte Schriftsteller wurde seitdem zu einem sehr geschätzten und berühmten Autor, dessen Theaterstücke auf vielen Bühnen zu finden sind. Zwischen den Parteien ist streitig, in welchem Maße dies auf den Bemühungen der Beklagten beruht.
In den Jahren 1971/1972 kam es zu ersten Differenzen zwischen den Parteien, nachdem zuvor gute Beziehungen bestanden hatten.
1972 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten, sie trage sich mit dem Gedanken, den Nachlaß nun bei sich selbst oder doch in ihrer Nähe unterzubringen. 1979 ließ sie die Beklagte durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt ausdrücklich zur Herausgabe auffordern. Sie beabsichtigte, den literarischen Nachlaß Ödön von Horvaths bei der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien archivieren zu lassen; das österreichische Bundesministerium für Wirtschaft und Forschung hielt im Jahre 1981 als Kaufpreis für den literarischen Nachlaß einschließlich der nicht im Besitz der Beklagten befindlichen Teile 4.100.000,– öS bereit. Die Beklagte bemühte sich ebenfalls, den Nachlaß zu kaufen und das dafür benötigte Geld zu beschaffen. Es kam jedoch zu keiner Regelung.
Mit ihrer im Frühjahr 1983 erhobenen Klage verlangt die Klägerin zunächst einen Teil der Originalmanuskripte heraus.
Sie hat die Ansicht vertreten, der im Jahre 1962 mit der Beklagten abgeschlossene Vertrag sei als Leihvertrag zu beurteilen; zumindest seien aber die Bestimmungen über die Leihe entsprechend anzuwenden. Da der Zweck der Leihe nach mehr als 20 Jahren erreicht sei, könne sie gemäß § 604 BGB Rückgabe verlangen. Im übrigen sei der Leihvertrag auch durch Kündigung beendet worden. Die Klägerin hat dazu behauptet, die Beklagte habe durch eine Reihe von Vertragsverletzungen das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien völlig zerstört.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie folgende in ihrem Besitz befindliche Originalmanuskripte aus dem Nachlaß des Schriftstellers Ödön von Horvath herauszugeben:
„Geschichten aus dem Wienerwald“ „Kasimir und Karoline“ „Der Lenz ist da“ „Mord in der Mohrengasse“ „Die Reise ins Paradies“ „Stunde der Liebe“ „Das unbekannte Leben“ „Ein Kind unserer Zeit“.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat sich darauf gestützt, der im Jahre 1962 abgeschlossene Vertrag sei ein auf Dauer angelegter Archivvertrag, den die Klägerin nicht wirksam habe kündigen können. Sie habe aus literaturwissenschaftlichen, aber auch aus ideellen Gründen ein überragendes Interesse daran, daß die Originalmanuskripte auch künftig in ihrem Archiv blieben. Das Archiv würde ohne die Originalmanuskripte zu einem weitgehend wertlosen Torso und verlöre seinen Sinn. Sie habe zum ständigen Ausbau des Archivs neben der unermüdlichen Arbeit ihrer Mitarbeiter rund 300.000,– DM aus öffentlichen Mitteln aufgewendet. Ihre Bemühungen um das Werk Ödön von Horvaths hätten wesentlich dazu beigetragen, daß die Klägerin daraus jetzt hohe Einnahmen erziele. Die Beklagte hat weiter die von der Klägerin behaupteten Vertragsverletzungen bestritten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren ursprünglichen Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise – insoweit wiederum hilfsweise im Wege der Anschlußrevision – dem Antrag der Klägerin nur Zug um Zug gegen Zahlung von 300.000,– DM an die Beklagte stattzugeben.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat der Klägerin einen Herausgabeanspruch sowohl aus Vertrag als auch aus Eigentum versagt, weil die Beklagte auf Grund des Vertrages aus dem Jahre 1962 ein dauerhaftes Recht zum Besitz erlangt habe. Dazu hat das Berufungsgericht ausgeführt: Bei dem im Jahre 1962 geschlossenen Archivvertrag handele es sich um keinen Leihvertrag, sondern um einen gegenseitigen Vertrag eigener Art mit den Merkmalen des Dauerschuldverhältnisses. Da sich das Vorhandensein typischer Archivverträge nicht feststellen lasse, sei der Inhalt des vorliegenden Vertrages ausschließlich auf Grund der im Jahre 1962 abgegebenen Willenserklärungen der Vertragspartner, ihrem darauf beruhenden Erfüllungsverhalten und dem erkennbar gewordenen Vertragszweck zu ermitteln. Urheberrechtliche Regelungen seien nicht anwendbar, die Auslegung habe nach den §§ 133, 157 BGB zu erfolgen. Danach bestehe die Hauptleistungspflicht auf der Seite des Rechtsvorgängers und damit auch der Klägerin darin, der Beklagten die zugesagten Sachen, insbesondere die Originalmanuskripte, für das Archiv unentgeltlich auf unbestimmte Dauer zu überlassen und die archivmäßige Verwendung des Materials durch die Beklagte zu dulden. Hauptleistungspflicht der Beklagten sei es, das Archiv anzulegen und zu erhalten. Beide Pflichten stünden in einem Abhängigkeits- und Austauschverhältnis. Der Rechtsvorgänger der Klägerin habe der Beklagten das Material versprochen, damit es archiviert werde; die Beklagte habe die Archivierung versprochen, damit ihr das Material ausgehändigt werde und sie es behalten dürfe.
Ein solches Dauerschuldverhältnis könne nur auf Grund besonderer Auflösungstatbestände oder durch Kündigung aus wichtigem Grunde beendet werden. Im Streitfall greife keine dieser Beendigungsmöglichkeiten ein. Die Klägerin könne zur Begründung eines Auflösungstatbestandes nicht mit Erfolg anführen, nach einem Archivierungszeitraum von über 20 Jahren sei der Zweck des Vertrages erreicht und die Beklagte benötige zumindest die Originalmanuskripte nicht länger; ebensowenig könne sie sich darauf berufen, daß sich der Rechtsvorgänger der Klägerin das Eigentum vorbehalten habe; die für die Leihe geltenden Bestimmungen der §§ 604, 605 BGB seien auch nicht entsprechend anwendbar. Die Klägerin sei auch nicht zur fristlosen Kündigung berechtigt; ein wichtiger Grund lasse sich – wie das Berufungsgericht näher ausgeführt hat – weder daraus herleiten, daß die Klägerin den literarischen Nachlaß anderweitig veräußern und daraus Gewinn erzielen könne, noch aus den von der Klägerin behaupteten Vertragsverletzungen.
II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts steht der Klägerin sowohl aus Vertrag als auch aus Eigentum (§ 985 BGB) ein Anspruch auf Herausgabe der im Klageantrag angeführten Originalmanuskripte zu. Die Beklagte kann aus dem Archivvertrag aus dem Jahre 1962 kein Recht zum Besitz herleiten, da dieser Vertrag inzwischen durch die ordentliche Kündigung der Klägerin beendet worden ist.
1. Das Berufungsgericht hat den in Streit befindlichen Archivvertrag allerdings zu Recht als Vertrag eigener Art beurteilt, der sich keinem der im BGB geregelten Vertragstypen unmittelbar zuordnen läßt. Es handelt sich – anders als die Revision meint – insbesondere nicht um einen Leihvertrag, so daß die Regeln der §§ 604, 605 BGB über die Vertragsbeendigung nicht anzuwenden sind. Nach den vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Rechtsvorgänger der Klägerin der Beklagten den Besitz an dem literarischen Nachlaß Ödön von Horvaths nicht unentgeltlich überlassen, die Beklagte hat als Gegenleistung dafür vielmehr die Verpflichtung zur Archivierung übernommen. Der Annahme einer Gegenleistung steht nicht der von der Revision angeführte Umstand entgegen, daß die Gründung und Betreuung von Archiven der streitgegenständlichen Art ohnehin zu den Aufgaben gehört, die die Beklagte als eine der Kulturpflege dienende Körperschaft des öffentlichen Rechts im Interesse der Allgemeinheit zu erbringen hat. Auch eine solche Aufgabe kann daneben Gegenstand einer selbständigen Vertragspflicht gegenüber einem Dritten sein, wenn es dem Dritten ersichtlich darauf ankommt, als Ausgleich für eine eigene Leistung einen eigenen vertraglichen Erfüllungsanspruch zu erwerben. Im Streitfall sind der Rechtsvorgänger der Klägerin und die Beklagte nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen bei Vertragsabschluß im Jahre 1962 von einer wechselseitigen Bindung in diesem Sinne ausgegangen. Die Beklagte sollte nicht nur – wie es dem Wesen der Leihe entsprechen würde – zur gegenständlichen Nutzung des in ihren Besitz übergegangenen literarischen Nachlasses berechtigt, sondern auch verpflichtet sein. Überdies sollte die Beklagte auch zu einer auf den Archivzweck beschränkten(urheberrechtlichen) Werkvervielfältigung berechtigt sein.
2. Die weitere Annahme des Berufungsgerichts, der vorliegende Archivvertrag sei von unbegrenzter Dauer und könne von der Klägerin nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gekündigt werden, begegnet jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Die Parteien haben über die Dauer und die Beendigung des Archivvertrages keine ausdrückliche Regelung getroffen. Der Vertrag bedarf daher insoweit der Auslegung. Diese ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters und deshalb der Nachprüfung in der Revisionsinstanz nur in beschränktem Umfange zugänglich. Nachprüfbar ist u.a. die Frage, ob die Auslegung des Berufungsgerichts wesentlichen Auslegungsstoff und auch Erfahrungssätze außer Betracht läßt (BGHZ 24, 39, 41). Das ist hier der Fall.
b) Das Berufungsgericht hat bei der Frage nach der Dauer und der möglichen Beendigung des Vertrages im Ansatz zutreffend auf die im Jahre 1962 abgegebenen Willenserklärungen der Vertragspartner, ihr darauf beruhendes Erfüllungsverhalten und den erkennbar gewordenen Vertragszweck abgestellt. Es hat bei seiner Auslegung jedoch nicht hinreichend beachtet, daß eine zeitlich unbegrenzte – und damit auch jeden künftigen Rechtsnachfolger bindende – Besitzüberlassung unter Ausschluß jeglicher Kündigungsmöglichkeit nur angenommen werden kann, wenn ein dahingehender Parteiwille unzweideutig zum Ausdruck gekommen ist. Denn ein derart ausgestaltetes Dauerschuldverhältnis bildet in der deutschen Rechtsordnung die Ausnahme. Daß dies bei Archivverträgen grundsätzlich anders sein könnte, läßt sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen; das Vorhandensein typischer Archivverträge mit einem einheitlichen Inhalt ist vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden. Das Berufungsgericht hat auch im übrigen für die von ihm angenommene zeitlich unbegrenzte Bindung keine hinreichenden Anhaltspunkte festgestellt und sich bei der Auslegung nicht mit allen in Betracht kommenden Umständen auseinandergesetzt.
In dem von den Parteien vorgelegten Schriftwechsel, auf den sich das Berufungsgericht allein stützt, wird die Frage der Dauer des Vertrages und seiner möglichen Beendigung nicht ausdrücklich angesprochen. Das Schreiben des Rechtsvorgängers der Klägerin vom 23. September 1962 hätte der Beklagten Veranlassung geben müssen, die Frage der Vertragsdauer klarzustellen. Denn darin bittet Lajos von Horvath um ein Schreiben oder einen Vertrag mit der Erklärung, daß er Eigentümer und die Beklagte Besitzer des Nachlasses sei. Dieser Umstand wird vom Berufungsgericht bei seiner Vertragsauslegung rechtsfehlerhaft unberücksichtigt gelassen. Das Berufungsgericht geht lediglich in anderem Zusammenhang, nämlich bei der Frage, ob der Vorbehalt des Eigentums einen eigenen Auflösungstatbestand begründet, darauf ein und führt insoweit aus, es lasse sich nicht mit letzter Sicherheit klären, was Lajos von Horvath damit erreichen wollte, daß er Eigentümer der Unikate blieb. Es vermutet, daß sich Lajos von Horvath für den Fall möglicher Vertragsstörungen sichern wollte und daß die Eigentumsfrage für ihn auch von ideeller Bedeutung gewesen sein könne. Gerade bei Anführung der in den geistigen und persönlichen Beziehungen des Urhebers bzw. seines Rechtsnachfolgers zum Werk (§§ 11, 30 UrhG) liegenden ideellen Interessen hätte das Berufungsgericht aber auch die durchaus naheliegende Möglichkeit in seine Erwägungen einbeziehen müssen, daß Lajos von Horvath sich vorbehalten wollte, die Manuskripte irgendwann wieder herauszuverlangen; sei es, um die räumliche Nähe zum Werk herzustellen oder um anderweit darüber zu disponieren. Jedenfalls hätte die Beklagte mit dieser Möglichkeit rechnen und angesichts ihrer Erfahrungen bei der Gründung von Archiven klarstellen müssen, daß sie sich eine zeitlich unbegrenzte Überlassung ohne jeden Rückforderungsanspruch – das Vorliegen eines wichtigen Grundes ausgenommen – vorstellte. Dies hat die Beklagte unterlassen, indem sie lediglich mit Schreiben vom 7. Dezember 1962 bestätigte, daß Lajos von Horvath Eigentümer des Materials bliebe. Danach müssen die sich aus dem Schriftwechsel ergebenden Unklarheiten zulasten der Beklagten gehen. Das Berufungsgericht hat auch keine sonstigen Begleitumstände festgestellt, aus denen sich der unzweideutige Parteiwille ergibt, daß der Beklagten das Material in alle Zukunft hinein überlassen werden sollte. Die bloße Feststellung des Berufungsgerichts (BU 15), die Beklagte wäre mit der Mühe und Geld erfordernden Archivierung nicht einverstanden gewesen, wenn sie das Material nicht mit einiger Sicherheit für geraume Zeit hätte behalten und nutzen dürfen, besagt nichts Eindeutiges; ebensowenig die weitere Darlegung (BU 15), der Vertrag erschöpfe sich als Dauerschuldverhältnis nicht in den Erfüllungsakten des Jahres 1962, sondern beziehe sich auch auf den Betrieb und Fortbestand des Archivs, sei daher auf eine längerfristige, unbestimmte Dauer angelegt.
Auch dem übereinstimmend verfolgten Vertragszweck lassen sich keine eindeutigen Anhaltspunkte für eine unbegrenzte und praktisch nicht auflösbare Besitzüberlassung entnehmen. Soweit der Vertragszweck im Schriftwechsel erkennbar geworden ist, ging es im Aufbaustadium zunächst um die Sichtung, Ordnung und Katalogisierung des Materials(vgl. Schreiben der Beklagten vom 7. Dezember 1962). In der Folgezeit übernahm die Beklagte die Betreuung des Materials und ermöglichte die wissenschaftliche Auswertung.
Für den Rechtsvorgänger der Klägerin war zwar erkennbar, daß dieser ihm bekannte Zweck nur erreicht werden konnte, wenn der Beklagten auch der Besitz der Originalmanuskripte zumindest längerfristig überlassen blieb. Aus der Tatsache, daß er das Eigentum zurückbehielt, läßt sich aber entnehmen, daß er jedenfalls einen Dauerbesitz der Beklagten nicht für zwingend hielt. Soweit das Berufungsgericht (BU 16) in diesem Zusammenhang allgemein auf den Zweck eines Archivs abstellt, der ständigen Pflege von Wissenschaft und Kultur zu dienen und das archivierte Material dafür dauerhaft zu bewahren, besagt dies nichts für den konkreten Fall.
c) Danach ist davon auszugehen, daß das vorliegende Dauerschuldverhältnis jedenfalls nach einer angemessenen Auswertungszeit durch ordentliche Kündigung beendet werden kann.
Ein angemessener Zeitraum ist inzwischen verstrichen, nachdem die Beklagte das von ihr geordnete und gesichtete Material mehr als zwei Jahrzehnte für die wissenschaftliche Auswertung bereithalten konnte.
Es kann offenbleiben, welche Kündigungsfrist im Streitfall angemessen ist und ob der vorliegende Archivvertrag, der unter anderem Elemente der Miete, des Auftrags und der Verwahrung enthält, entsprechend den für andere Dauerschuldverhältnisse geltenden Fristen beendet werden kann. Durch das bereits im Jahre 1979 gestellte Herausgabeverlangen und spätestens durch die 1983 erhobene Klage ist die Kündigung inzwischen in jedem Falle wirksam geworden.
3. Die Klage hat nach alledem Erfolg. Der in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag der Beklagten, der Klage nur Zug um Zug gegen Zahlung von 300.000,– DM stattzugeben, ist unbegründet. Die Beklagte hat einen Aufwendungsersatzanspruch nicht dargetan. Dem Archivvertrag läßt sich ein solcher Anspruch nicht entnehmen. Nach dem vom Berufungsgericht (BU 15) festgestellten Inhalt des Vertrages bestand die Hauptpflicht des Rechtsvorgängers der Klägerin darin, der Beklagten die Originalmanuskripte ohne Zahlung eines Entgelts zu überlassen; Hauptleistungspflicht der Beklagten war es, das Archiv auf eigene Kosten anzulegen und zu erhalten. Eine Rückforderung der aufgewendeten Kosten sieht der Vertrag nicht vor. Hinzu kommt die Erwägung, daß die Beklagte mit der Gründung des Archivs nicht nur einer vertraglichen Verpflichtung gegenüber dem Rechtsvorgänger der Klägerin nachgekommen ist, sondern zugleich in ihrer Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts auch eine im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe der Kulturpflege erfüllt und damit ihrem Ansehen als kulturelle Einrichtung und dem Interesse der Allgemeinheit an der literaturwissenschaftlichen Forschung gedient hat. Unter diesen Umständen kann deshalb auch nicht davon gesprochen werden, daß es sich bei ihren Aufwendungen um „auf die Sache gemachte notwendige Verwendungen“ im Sinne der §§ 547 Abs. 1, 994 BGB handelt. Die Beklagte hat überdies nicht dargetan, daß es um Aufwendungen geht, die sie gerade auf die acht streitgegenständlichen Originalmanuskripte für den Rechtsvorgänger der Klägerin bzw. die Klägerin selbst erbracht hat.
III. Die Revision hat somit in vollem Umfange Erfolg.
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