Gericht: Amtsgericht Berlin-Wedding
Entscheidungsdatum: 15.03.1960
Aktenzeichen: 5 C 96/60
Entscheidungsart: Urteil
Eigenes Abstract: Der Kläger, die Berliner Volksbücherei, verlangt vom beklagten Bibliotheksbenutzer die Herausgabe von entliehenen Büchern. Trotz mehrfacher Mahnungen wurden diese vom Beklagten nicht zurückgegeben. Die Klage der Bibliothek wurde vom Gericht abgewiesen, da es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt. Geklagt wurde vor dem Amtsgericht, zuständig wäre das Verwaltungsgericht gewesen.
Der Kl. verlangt vom Bekl. die Herausgabe von Büchern, die sich dieser von der Sch.-Bücherei (Volksbucherei) in Berlin ausgeliehen und nach Ablauf der Leihfrist trotz mehrfacher Mahnungen nicht zurückgegeben hat. Das Gericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen.
Aus den Gründen:
Der Rechtsweg ist unzulässig. Gegenstand der Entsch. ist keine bürgerliche Rechtsstreitigkeit i.S. des § 13 GVG. Der Kl. leitet zwar Rechte aus einem Leihverhältnis her und will offensichtlich den sich aus § 604 BGB ergebenden Rückgabeanspruch geltend machen. Damit wird aber noch nicht der Rechtsweg zulässig. Maßgebend ist nicht die Rechtsauffassung des Kl., sondern das tatsächliche Klagevorbringen, so wie es den Streitgegenstand ergibt (vgl. Baumbach-Lauterbach, ZPO, 25. Aufl., Anm. 2 D zu § 13 GVG und die dort angegebene Rspr.). Beurteilt man das Streitverhältnis nach diesen Grundsätzen, unterliegt es keinem Zweifel, daß zwischen den Parteien öffentlich-rechtliche Beziehungen bestehen. Zu der Überzeugung, daß das Streitverhältnis der Parteien nur nach öffentlichem Recht zu beurteilen ist, gelangte das Gericht bei Würdigung der den Volksbüchereien zugewiesenen Aufgaben und bei Berücksichtigung der Verpflichtungen, die den Büchereibenutzern nach dem Gesetz über die Erhebung von Benutzungsgebühren an Volksbüchereien v. 12. 2. 1953 (GVBl. S. 141) entstehen.
Anlaß zu der Feststellung, daß ein privatrechtliches Leihverhältnis zwischen den Parteien nicht besteht, bietet zwar noch nicht die Tatsache, daß die Bücherei in dem vorliegenden Fall als öffentliche Anstalt tätig geworden ist; denn die Beziehungen zwischen einer öffentlichen Anstalt und ihren Benutzern können privatrechtlich und öffentlichrechtlich gestaltet sein. Die Feststellung wird jedoch dadurch gerechtfertigt, daß alle Umstände des vorliegenden Falls auf eine öffentlich-rechtliche Gestaltung hinweisen.
Für eine öffentlich-rechtliche Gestaltung spricht schon der Umstand, daß das Ausleihen von Büchern gemäß § 1 Abs. 2 des Ges. v. 12. 2. 1953 gebührenfrei ist. In dieser Regelung offenbart sich der Wille des Staates, einem möglichst großen Leserkreis Bildungsmöglichkeiten zu eröffnen und dadurch den allgemeinen Bildungsstand zu heben. Die Förderung der Volksbildung gehört zu den fürsorgerischen Aufgaben des Staates. Schafft der Staat zur Erfüllung dieser Aufgaben öffentliche Einrichtungen, spricht von vornherein eine Vermutung dafür, daß sich die Tätigkeit dieser Einrichtungen nach öffentlich-rechtlichen Grundsätzen vollzieht. Forsthoff (Verwaltungsrecht, 7. Aufl., 1958, S. 444) hebt daher auch mit Recht hervor, daß für eine Ordnung der Benutzung einer Anstalt nach öffentlichem Recht eine Vermutung spricht, wenn nicht klar zum Ausdruck kommt, daß eine privatrechtliche Nutzungsform gemeint ist.
Aus dem Ges. v. 12. 2. 1953 ergibt sich eindeutig, daß eine privatrechtliche Nutzungsform außer Betracht zu bleiben hat. Zu dieser Folgerung berechtigt bereits der Umstand, daß das Gesetz verschiedentlich den Begriff „Gebühr“ verwendet, so im Zusammenhang mit der Ausstellung eines zur Ausleihe berechtigenden Leseheftes (§ 2), mit der Ausstellung eines Ersatzleseheftes (§ 2), mit der Überschreitung der Leihfrist (§ 3), mit der Abholung nach zweimaliger Mahnung (§ 3), mit der Vorbestellung eines Buches (§ 4). Die Verwendung des Begriffes „Gebühr“ deutet darauf hin, daß es sich um eine öffentlichrechtliche Gegenleistung für eine Leistung der Bucherei handelt und nicht etwa um ein privatrechtliches Entgelt. Zwar ist die Bezeichnung der Gegenleistung nicht immer ausschlaggebend. Es muß jedoch berücksichtigt werden, daß sich die Begriffe des Verwaltungsrechts schon seit längerer Zeit so weit gefestigt haben, daß unter einer „Gebühr“ in heutigen Gesetzen nur eine ganz bestimmte öffentlich-rechtliche Abgabe verstanden werden kann, die – im Gegensatz zur privatrechtlichen Vergütung – das in Ausübung der Finanzgewalt vom Hoheitsträger einseitig festgestellte Entgelt für eine zugleich im öffentlichen Interesse gemachte besondere Leistung des Abgabenberechtigten darstellt. Daß das Gesetz den Begriff „Gebuhr“ in diesem Sinne verstanden haben und das Rechtsverhältnis zwischen Volksbücherei und Benutzern entsprechend gekennzeichnet wissen wollte, ergibt sich aus der in § 6 des Gesetzes getroffenen Regelung, daß die Gebühren der Beitreibung im Verwaltungszwangsverfahren nach Maßgabe der hierfür geltenden Bestimmungen unterliegen.
Mit der Feststellung, daß die Rechtsbeziehungen zwischen den Volksbüchereien und ihren Benutzern öffentlichrechtlich gestaltet sind, ist zugleich die weitere Feststellung zu treffen, daß alle sich aus dem Rechtsverhältnis der Parteien ergebenden Ansprüche nach den hierfür in Betracht kommenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu beurteilen sind. Dies gilt auch für den Anspruch auf Herausgabe der entliehenen Bücher. Im übrigen bringt das Gesetz auch in seinem § 4 zum Ausdruck, wie der Herausgabeanspruch verwirklicht werden kann, nämlich durch Abholen. Damit ist gesagt, daß die Bücherei sich selbst wieder in den Besitz der entliehenen Bücher setzen kann. Daß dies unter bestimmten Voraussetzungen gegen den Willen des Entleihers im Wege des Verwaltungszwanges geschehen kann, bedarf angesichts der öffentlich-rechtlichen Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen der Bücherei und ihren Benutzern keiner näheren Begründung.
Die öffentlich-rechtliche Gestaltung der Beziehungen zwischen den Volksbüchereien und ihren Benutzern läßt es als sehr zweifelhaft erscheinen, ob der Rechtsweg für einen lediglich auf § 985 BGB gestützten Eigentumsherausgabeanspruch zulässig wäre und ob dem Kl. nicht entgegenzuhalten wäre, daß er sich den sonst verschlossenen Rechtsweg in mißbilligenswerter Weise auf einem Umweg verschaffen würde (vgl. hierzu Baumbach-Lauterbach, aaO Anm. 2 B zu § 13 GVG). Einer abschließenden Beurteilung dieser Frage bedarf es indessen nicht; denn die Klage wäre auch bei Zulässigkeit des Rechtsweges wegen des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist dann nicht gegeben, wenn der Kl. das von ihm erstrebte Ziel auf einfacherem Wege erreichen kann (vgl. BGHZ 27, 190-194 = NJW 58, 1293). Der Kl. bedarf zur Erreichung seines Zieles, der Wiedererlangung der Bücher, eines vollstreckbaren Titels in der Gestalt des Urt. eines ordentlichen Gerichts nicht. Er kann sich der in dem VerwVollstrG vorgesehenen Möglichkeiten bedienen.
(Mitgeteilt von Ref. N. Dörner, Berlin)