Gericht: Verwaltungsgericht Münster
Entscheidungsdatum: 24.04.2007
Aktenzeichen: 1 K 464/06
Entscheidungsart: Urteil
eigenes Abstract: Eine Universitätsbibliothek fordert von der Beklagten Schadensersatz für nicht zurückgebrachte Medien. Diese wurden allerdings nicht von der Beklagten selbst entliehen, da ihr Bibliotheksausweis gestohlen wurde. Das Gericht weist die Klage ab, da die Bibliothek versäumte, die Identität des Entleihers beim Ausleihvorgang zu prüfen, obwohl die Mehrfachentleihung gleicher Werke verdächtig war.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beklagte war im Wintersemester 2004/2005 bei der Klägerin als Studentin der Rechtswissenschaft eingeschrieben. Sie erhielt von der Klägerin einen Studienausweis in Form einer Chipkarte, die mit einem Lichtbild und einer Geldkartenfunktion versehen war und zugleich als Benutzungsausweis für die Universitätsbibliothek diente (sog. U. -Universitäts-Karte, U1. ).
Mit der U1. der Beklagten wurden am 9. Dezember 2004 um 15:38 Uhr elf und um 16:44 Uhr weitere sechs Bücher ausgeliehen. Von diesen Büchern erhielt die Klägerin lediglich eines zurück, das in der Cafeteria der Universität aufgefunden wurde.
Am 14. Dezember 2004 zeigte die Beklagte dem Studentensekretariat den Verlust ihrer U1. an.
Nachdem sie am 15. Dezember 2004 einen Rückruf für eines der mit ihrer U1. entliehenen Bücher erhalten hatte, erstattete sie am 17. Dezember 2004 bei dem Polizeipräsidium E. Strafanzeige und gab an, mit ihrer U1. zuletzt am 9. Dezember 2004 gegen 15 Uhr in der Mensa der Klägerin bezahlt und sie anschließend in ihre Jackentasche gesteckt zu haben. Am 13. Dezember 2004 habe sie ihren Verlust bemerkt.
Mit Schreiben vom 13. Januar 2005 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie könne die entliehenen Bücher nicht zurückgeben, da sie nicht von ihr entliehen worden seien. Sie habe ihre U1. zuletzt am Mittag des 9. Dezember 2004 benutzt, um an der D. -Cafeteria zu bezahlen. Im folgenden habe sie sie weder verliehen noch liegen gelassen, vielmehr sei sie ihr gestohlen worden. Nur 90 Minuten später sei die Ausleihe erfolgt. Der Mitarbeiter der Bibliothek, der die Bücher ausgeliehen habe, habe ihren Verlust zu vertreten, da er es versäumt habe, die Identität des Ausleihers anhand des Lichtbildes auf der U1. zu überprüfen. Für eine Kontrolle des Ausleihers habe in Anbetracht der Anzahl der Bücher und des Umstands, dass drei Bücher doppelt entliehen werden sollten, aller Anlass bestanden.
Mit Schreiben vom 22. April 2005 teilte die Klägerin der Beklagten mit, sie beabsichtige, für die verlorenen Bücher Ersatz zu beschaffen und hierfür Schadensersatz zu verlangen. Die Verlustmeldung erst am 14. Dezember 2004 zeige, dass die Beklagte mit ihrer U1. sorglos umgegangen sei. Eine Feststellung der Identität der Ausleiher anhand des Lichtbildes auf der U1. sei in der Praxis nicht möglich, da der Ausleihvorgang hierdurch wesentlich verlängert würde, das äußere Erscheinungsbild häufig nicht mehr mit dem Lichtbild übereinstimme und eine Ausleihe durch Dritte nur noch mit einer entsprechenden Vollmacht möglich wäre. Das Lichtbild diene daher auch nicht der Ergänzung der Bibliotheks-, sondern z. B. der Fahrausweisfunktion.
Im Mai 2005 beschaffte die Klägerin für die abhanden gekommenen Bücher Ersatz und wandte hierfür 420,01 Euro auf.
Mit Schreiben vom 12. Juli 2005 forderte die Klägerin die Beklagte zur Erstattung dieses Betrages auf. Die Beklagte kam dieser Aufforderung nicht nach.
Am 24. November 2005 wurde gegen die Beklagte ein Mahnbescheid über 429,41 Euro erlassen. Die Beklagte erhob hiergegen Widerspruch, woraufhin das für die Länder S. -Q. und T. zuständige gemeinsame Mahngericht, das Amtsgericht N. , den Rechtsstreit zur Durchführung des streitigen Verfahrens an das Amtsgericht U2. abgegeben hat. Das Amtsgericht U2. hat den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht U2. verwiesen, das ihn an das erkennende Gericht weiterverwiesen hat.
Die Klägerin macht geltend, die Beklagte sei nach § 6 Abs. 5 der Bibliotheksordnung zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet. Sie habe den Missbrauch ihrer U1. fahrlässig und damit schuldhaft ermöglicht, indem sie sie entweder liegen gelassen oder ihren Diebstahl durch Unachtsamkeit ermöglicht habe.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 420,01 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz sei dem 13. November 2005 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, den Diebstahl ihrer U1. nicht bemerkt zu haben und daher hierüber keine genaueren Angaben machen zu können. Einem Anspruch der Klägerin stehe entgegen, dass es der Mitarbeiter der Universitätsbibliothek versäumt habe, die Identität des Ausleihers anhand des Lichtbildes auf der U1. zu überprüfen. Der Schaden der Klägerin bestehe im übrigen lediglich in dem verbliebenen Zeitwert der Bücher.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und des Vorbringens der Parteien im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, des vorgelegten Verwaltungsvorgangs und der in Ablichtung vorliegenden Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft U2. (8250 UJs 2840/05) ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Das Gericht hat wegen der Verweisung des Rechtsstreits durch das Amtsgericht U2. an das Verwaltungsgericht U2. gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 VwGO von der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs auszugehen. Der Verwaltungsrechtsweg ist im übrigen gemäß § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet. Die Klägerin macht einen Anspruch auf Schadensersatz in entsprechender Anwendung von § 280 Abs. 1 BGB wegen einer Pflichtverletzung des als öffentlich-rechtlich zu qualifizierenden Universitätsbibliotheksbenutzungsverhältnisses geltend. Die Zuweisung bestimmter Schadensersatzansprüche an den ordentlichen Rechtsweg in § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist nicht einschlägig, da diese nur Ansprüche gegen den Staat, nicht solche des Staates betrifft.
vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, 13. Aufl., München 2003, § 40 Rn. 73.
Unter dem Gesichtspunkt eines Schadensersatzanspruchs aus unerlaubter Handlung gemäß § 823 BGB ist das Gericht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG zur Entscheidung befugt.
Die Klägerin kann ihren Zahlungsanspruch im Wege der allgemeinen Leistungsklage geltend machen. Sie weist das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis auf, da Zweifel an ihrer Befugnis, gegenüber der Beklagten einen Verwaltungsakt zu erlassen, bestehen und angesichts der vorausgegangenen Zahlungsverweigerung der Beklagten ohnehin mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu rechnen war.
vgl. zu einer entsprechenden Fallkonstellation: BVerwG, Urteil vom 28. September 1979 – 7 D. 22/78 -, BVerwGE 58, 316 = NJW 1980, 852 = DÖV 1980, 413 = DVBl 1980, 294 = Buchholz 407.4 § 7a FStrG Nr 1.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch jedoch nicht zu. Ein Anspruch auf Schadensersatz ergibt sich weder unmittelbar aus § 6 Abs. 5 Satz 3 ihrer Bibliotheksordnung, noch aus einer entsprechenden Anwendung von § 280 Abs. 1 BGB, noch aus § 823 Abs. 1 BGB.
Unmittelbar auf § 6 Abs. 5 Satz 3 der Bibliotheksordnung lässt sich der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht stützen. Die von dem Senat der Klägerin dort vorgenommene Normierung einer Haftung der Bibliotheksbenutzer für Schäden aus schuldhaft ermöglichtem Missbrauch des Benutzungsausweises stellt einen weitreichenden Eingriff in die Vermögensrechte der Benutzer dar. Sie bedarf nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes, wonach der Gesetzgeber verpflichtet ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, und sie nicht anderen Normgebern überlassen darf, einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.
vgl. zum Vorbehalt des Gesetzes: BVerfG, Beschluss vom 8. August 1978 – 2 BvL 8/77 -, BVerfGE 49, 89 = DVBl 1979, 45 = NJW 1979, 359; Urteil vom 14. Juli 1998 – 1 BvR 1640/97 -, BVerfGE 98, 218 = DVBl 1998, 955 = NJW 1998, 2515.
Als solche kommt lediglich § 5 Abs. 2 Nr. 5 des rheinland-pfälzischen Universitätsgesetzes (seit dem 1. September 2003: § 7 des rheinland- pfälzischen Hochschulgesetzes) in Betracht. Die dort enthaltene Ermächtigung zur Regelung der Organisation und Benutzung der Hochschulbibliothek gibt für eine derartige Haftungsregelung jedoch nichts her. Sie vermittelt lediglich die Befugnis, im Wege der Satzung Regelungen zu treffen, die die Funktionsfähigkeit der Universitätsbibliothek gewährleisten sollen. Für Regelungen, die nicht den Betrieb der Bibliothek betreffen, findet sich dort keine Grundlage.
vgl. zu einer vergleichbaren Fallgestaltung: OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 1997 – 22 A 302/96 -, NWVBl. 1998, 196 = NVwZ 1998, 1212.
Ein Anspruch auf Schadensersatz ergibt sich auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung von § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung von Pflichten aus dem öffentlich-rechtlichen Bibliotheksbenutzungsverhältnisses durch die Beklagte.
vgl. zur entsprechenden Anwendbarkeit von § 280 Abs. 1 BGB auf öffentlich-rechtliche Benutzungsverhältnisse: OVG NRW, Urteile vom 14. Juni 2003 – 15 A 4115/01 -, juris, und vom 28. Juni 2005 – 15 A 4115/01 -, juris; zum Schadensersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung: OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 1997 – 22 A 302/96 -, a. a. O.; BVerwG, Urteil vom 1. März 1995 – 8 D. 36/92 -, NJW 1995, 2303 = Buchholz 303 § 287 ZPO Nr. 3.
Eine Pflicht der Beklagten, die mit ihrer U1. entliehenen Bücher zurückzugeben, ist nicht entstanden, da sie die Bücher nicht entliehen hat. Das Gericht ist aufgrund der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte die Ausleihe nicht selbst vorgenommen und ihren Ausweis auch keiner anderen Person zur Verfügung gestellt hat. Auf Befragen des Gerichts hat die Beklagte zunächst überzeugend dargelegt, warum sie die U1. getrennt von ihrer Brieftasche aufbewahrt hat, so dass ihr Verlust nicht mit dem der Brieftasche verbunden war: Da es sich bei der Klägerin um eine Campus-Universität handelt und die U1. mit einer Geldkartenfunktion ausgestattet ist, benötigte die Beklagte während ihres Aufenthalts auf dem Campus in der Regel nur die U1. . Sie nahm daher des öfteren nur ihre U1. zum Campusgelände mit und bewahrte diese daher auch getrennt von ihrer Brieftasche in ihrer Kleidung auf. Zwar konnte sich die Beklagte an Einzelheiten des Tages, an dem sie die U1. zuletzt benutzt hatte, nicht erinnern. Dies stellt jedoch die Glaubhaftigkeit ihres Vorbringens nicht in Frage. Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass man sich an alltägliche Handgriffe wie das Einstecken einer Karte wie der U1. bereits nach kurzer Zeit nicht mehr erinnern kann, da ihnen im Alltag keine besondere Bedeutung zukommt. Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Beklagten werden daher auch nicht dadurch geweckt, dass sie sich nicht daran erinnern kann, zu welcher genauen Uhrzeit sie die U1. zum Bezahlen in der D. -Cafeteria benutzt und was sie mit ihr erworben hat. Die von der Beklagten eingeräumten Erinnerungslücken sprechen vielmehr für ihre Glaubwürdigkeit. Schließlich konnte die Beklagte auch überzeugend erklären, woher sie am 13. Januar 2005 – dem Tag ihres Stellungnahmeschreibens an die Klägerin – von der Uhrzeit der beiden Ausleihvorgänge wusste: Sie habe sich, nachdem sie von den Ausleihvorgängen durch eine e-mail der Klägerin erfahren habe, bei der Klägerin nach den Umständen der Ausleihen erkundigt. Hierbei habe sie die genaue Uhrzeit der beiden Ausleihvorgänge erfahren. Ferner habe man ihr mitgeteilt, dass es in den Räumen der Klägerin keine Videoüberwachung gebe und sich der am 9. Dezember 2004 mit der Ausleihe beschäftigte Mitarbeiter nicht mehr an den oder die Ausleihenden erinnern könne.
Es kann dahin stehen, ob die Beklagte die sich aus § 6 Abs. 5 Satz 2 der Bibliotheksordnung ergebende Pflicht, den Verlust ihres Benutzungsausweises der Bibliothek und dem Studentensekretariat unverzüglich anzuzeigen, verletzt hat, indem sie ihre U1. erst am 14. Dezember sperren ließ, obwohl sie ihren Verlust bereits am 13. Dezember 2004 bemerkt hatte. Diese Pflichtverletzung hätte den der Beklagten entstandenen Schaden jedenfalls nicht verursacht, da die Bücher bereits am 9. Dezember 2004 entliehen wurden.
Eine Verpflichtung des Benutzers, sich des Besitzes der U1. im Abstand von wenigen Stunden zu vergewissern, ist in der Bibliotheksordnung nicht normiert. Sie ergibt sich auch nicht aus dem Benutzungsverhältnis. Das Benutzungsverhältnis könnte allenfalls die Pflicht begründen, den Verbleib des Benutzungsausweises in regelmäßigen Abständen zu kontrollieren, wobei dem Benutzer jedenfalls nicht mehr als eine tägliche Kontrolle abverlangt werden kann. Da die Beklagte ihre U1. noch am Mittag des 9. Dezember 2004 benutzt hatte, bestand für sie keine Veranlassung, sich ihres Besitzes noch am selben Nachmittag zu vergewissern.
Ob das Benutzungsverhältnis eine Pflicht begründet, den Benutzungsausweis sorgfältig aufzubewahren, ob die Beklagte diese Pflicht verletzt und damit den Missbrauch ihres Ausweises im Sinne von § 6 Abs. 5 Satz 3 der Bibliotheksordnung schuldhaft ermöglicht hat, ob hierfür der Beweis der ersten Anzeichens spricht
vgl. zu den Voraussetzungen des Anscheinsbeweises: OLG Brandenburg, Urteil vom 7. März 2007 – 13 U 69/06 -, juris; BGH, Urteil vom 5. Oktober 2004 – IX ZR 210/03 -, BGHZ 160, 308 = NJW 2004, 3623 = ZIP 2004, 2226 –
und ob die Beklagte ihr fehlendes Verschulden dargelegt und bewiesen hat, bedarf keiner Entscheidung.
Eine Ersatzpflicht der Beklagten besteht jedenfalls wegen überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin entsprechend § 254 Abs. 1 BGB nicht. Nach der vorgenannten Vorschrift hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt hat. Den Geschädigten trifft ein Mitverschulden, wenn er diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die nach Lage der Sache erforderlich scheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren.
vgl. Palandt, BGB, Kommentar, 66. Aufl., München 2007, § 254, Rn. 1.
Ein solches Mitverschulden kann auch in einem Organisationsverschulden bestehen.
vgl. BAG, Urteil vom 18. Januar 2007 – 8 AZR 250/06 -, juris.
Ein solches Organisationsverschulden ist der Klägerin zur Last zu legen. Nach ihrem Vorbringen werden ihre zur Ausleihe vorgesehenen Bestände jeder Person überlassen, die einen Benutzungsausweis vorlegt. Eine Kontrolle anhand des auf der U1. angebrachten Lichtbildes, ob es sich bei dem Ausleiher um ihren Inhaber handelt, findet nicht statt. Auf diese Weise hat jeder Benutzer die Möglichkeit, Bestände der Klägerin durch Bevollmächtigte auszuleihen, ohne diesen eine Vollmacht ausstellen zu müssen. Die Überlassung des Benutzungsausweises reicht aus. Mit dieser Praxis setzt sich die Klägerin in Widerspruch zu ihrer Bibliotheksordnung. Nach deren § 6 Abs. 6 haben Personen, die nicht der Universität angehören und die nach § 6 Abs. 1 Sätze 3 und 4 nach Anmeldung als Benutzer zugelassen werden können, sich durch Vorlage ihres Personalausweises auszuweisen. Auf diese Weise soll nach der Bibliotheksordnung der Klägerin eine Identitätsüberprüfung ermöglicht werden, da die Benutzungsausweise der sog. Externen kein Lichtbild aufweisen. Das Gericht versteht § 6 Abs. 6 der Bibliotheksordnung dahingehend, dass diese Identitätsüberprüfung nicht nur bei der Zulassung als Benutzer und bei der Verlustmeldung des Benutzungsausweises, sondern auch bei der Ausleihe stattfinden soll.
Selbst wenn die Bibliotheksordnung der Klägerin eine Identitätsüberprüfung bei der Ausleihe nicht vorsehen sollte, wäre der Klägerin ein Mitverschulden zur Last zu legen, da sie die durch das auf der U1. angebrachte Lichtbild eröffnete Kontrollmöglichkeit nicht nutzt, um sich vor Schaden zu bewahren. Dabei bedarf es keiner weiteren Prüfung, zu welchen Zwecken das Lichtbild in die U1. aufgenommen wurde. Entscheidend ist, dass die Klägerin die durch seine Existenz eröffnete Möglichkeit der Legitimationsprüfung nicht nutzt. Diese Praxis ist ihr als Organisationsverschulden vorzuwerfen. Ihre Einwände, die Überprüfung des Lichtbildes würde den Ausleihvorgang erheblich verlängern, sei wegen einer Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes häufig nicht möglich und würde dazu führen, dass für eine Ausleihe durch Dritte die Vorlage einer Vollmacht erforderlich werden würde, vermag ihre Praxis nicht zu rechtfertigen. Dass durch eine Überprüfung des Lichtbildes der Ausleihvorgang erheblich verlängert werden würde, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Eine solche Überprüfung findet auch im öffentlichen Nahverkehr statt, da die U1. auch als Fahrausweis genutzt wird. Da die Überprüfung die Einhaltung des Nahverkehr-Fahrplans offensichtlich nicht in Frage stellt, kann sie auch im Ausleihbetrieb der Klägerin nicht zu einer wesentlichen Verzögerung führen. Dies ergibt sich bereits aus der Natur des Prüfvorgangs, der regelmäßig durch einen kurzen Blick erledigt sein dürfte. Dass eine Identifizierung aufgrund einer Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes des Benutzers im Einzelfall nicht möglich sein kann, spricht nicht gegen das Vorhandensein der Kontrollmöglichkeit im Regelfall. Da es sich bei der U1. in erster Linie um einen Studienausweis handelt, der nur für einen begrenzten Zeitraum – das Studium – ausgestellt wird, ist im übrigen davon auszugehen, dass sich das äußere Erscheinungsbild der meisten Inhaber in dieser Zeit nicht wesentlich verändert. Schließlich vermag auch das durch eine Identitätsüberprüfung begründete Erfordernis einer Vollmacht für Dritte, die für einen Benutzer Bestände der Klägerin ausleihen wollen, nicht zu rechtfertigen, warum die Klägerin von Identitätskontrollen absieht. Diese Ausleihen dürften im Verhältnis zu den persönlichen Ausleihen der Benutzer wesentlich seltener vorkommen. Die Notwendigkeit, eine Vollmacht auszustellen, würde im übrigen allein die Benutzer belasten und diente – in Verbindung mit einer Identitätsüberprüfung durch die Klägerin – dem Interesse aller Benutzer, beim Verlust des Benutzungsausweises keinen Schadensersatzansprüchen der Klägerin ausgesetzt zu sein.
Die Abwägung der Verursachungsbeiträge und Verschuldensanteile der Klägerin und der Beklagten ergibt ein deutlich überwiegendes Mitverschulden der Klägerin, das ihren Anspruch auf Schadensersatz ausschließt. Die Klägerin hätte bei Nutzung der ihr zur Verfügung stehenden Kontrollmöglichkeiten den Schadenseintritt höchstwahrscheinlich verhindern können. Hinsichtlich des Verlusts von Teilen ihrer Bestände durch Missbrauch von Benutzungsausweisen ist ihr bedingter Vorsatz vorzuwerfen. Bedingt vorsätzlich handelt, wer den als möglich erkannten rechtswidrigen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Handelnde darauf vertraut, der Schaden werde nicht eintreten.
vgl. Palandt, BGB, a.a. O., § 276, Rn. 10.
Die Regelungen des § 6 Abs. 5 der Bibliotheksordnung der Klägerin verdeutlichen, dass ihrem Senat die sich aus dem Verlust von Benutzungsausweisen ergebenden Missbrauchsmöglichkeiten bei der Normierung der Bibliotheksordnung bewusst waren. Anstatt zusätzliche eigene Sicherheitsvorkehrungen (wie z. B. eine Identitätsüberprüfung der Ausleiher) vorzusehen, beschränkte er sich darauf, den Benutzern die Pflicht aufzuerlegen, den Verlust des Ausweises der Bibliothek und dem Studentensekretariat unverzüglich anzuzeigen. Die Klägerin sollte durch die in § 6 Abs. 5 Satz 3 der Bibliotheksordnung den Benutzern auferlegte Haftung vor Schäden bewahrt werden. In Anbetracht dieser Haftungsregelung kann keine Rede davon sein, dass der Senat der Klägerin darauf vertraut habe, ein Missbrauch von verlorenen Benutzungsausweisen werde nicht vorkommen. Er hat diese Fälle vielmehr zutreffend vorhergesehen und hierfür anhand der Haftungsregelung Vorsorge getroffen. Da die Klägerin anhand der Haftungsregelung vor Schäden bewahrt werden sollte, war der Verlust von Teilen ihrer Bestände durch Missbrauch von Benutzungsausweisen zwar nicht erwünscht, wurde aber mit Blick auf den vermeintlichen Schadensersatzanspruch gegen den Ausweisinhaber billigend in Kauf genommen. Gegenüber diesem Organisationsverschulden der Klägerin tritt die der Beklagten eventuell vorzuwerfende Fahrlässigkeit zurück.
Aufgrund des überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin steht ihr auch kein Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 BGB zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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